Nick Brauns: Ein Schlag gegen die Pressefreiheit

Das Berliner Verwaltungsgericht hat eine Klage der Tageszeitung junge Welt (jW) gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz abgewiesen. Redakteur Nick Brauns bezeichnet das Urteil als einen Anschlag auf die Pressefreiheit in Deutschland.

Urteil gegen die junge Welt

Das Berliner Verwaltungsgericht hat am Donnerstag eine Klage der Tageszeitung junge Welt (jW) gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz abgewiesen. Das Gericht urteilte, die Zeitung arbeite für eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaft mit einer Einparteiendiktatur. Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe dies „richtig eingeordnet“, sagte Gerichtspräsident Wilfried Peters. Der Redakteur Nick Brauns bezeichnete das Urteil als einen Anschlag auf die Pressefreiheit in Deutschland. Gözde Güler hat für die Yeni Özgür Politika mit dem Journalisten und Historiker Dr. Nick Brauns gesprochen.

Wie bewertest du das Urteil?

Im letzten Schriftsatz der Anwälte des Geheimdienstes, der uns erst einen Tag vor der Gerichtsverhandlung erreichte, wurde der jungen Welt unter anderem vorgeworfen, Begriffe wie Arbeiterklasse, Klassenkampf und Klassenjustiz zu benutzen. Ich denke, gerade der Begriff Klassenjustiz eignet sich gut, um zu beschreiben, wie das Gericht geurteilt hat. Es ging in diesem Prozess ja letztlich um Pressefreiheit und darum, inwieweit und für wen dieses Grundrecht gelten soll. Deutlich wurde, dass Pressefreiheit offenbar dort ihre Grenzen hat, wo die Politik und das Agieren der herrschenden kapitalistischen Klasse kritisiert wird. Wir hatten allerdings auch nichts anderes in der ersten gerichtlichen Instanz erwartet. Schließlich hatte dieselbe Kammer des Gerichts bereits vor zwei Jahren unseren Eilantrag mit der Begründung abgelehnt, zwar werde unsere Pressefreiheit eingeschränkt, aber das sei legitim, da der Geheimdienst gute Gründe für unsere Beobachtung habe.

Und wie war die Stimmung im Gerichtssaal?

Unsere Anwältin hatte beantragt, den größten Saal im Gericht zu nutzen, und das war gut so. Denn rund 60 Prozessbeobachter - viele unserer Leser, Medienvertreter, Vertreter von Gewerkschaften - waren gekommen. Als unsere Anwältin sagte, der Verfassungsschutz solle den Rechtsstaat verteidigen, doch mit seinem Agieren verletzte er gerade die Demokratie, gab es spontanen Applaus. 

Wie wird es jetzt für euch weitergehen?

Wir werden Revision beantragen und notfalls bis zum Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehen, um unser Recht zu erkämpfen. Aber unsere Hauptaufgabe bleibt natürlich, jeden Tag eine gute Tageszeitung zu machen. Das ist unser Hauptkampf. Und die Bundesregierung hat ja als Ziel der Geheimdienstbeobachtung angegeben, uns den Nährboden zu entziehen. Es wird für uns also nach diesem Urteil nicht einfacher werden, für unsere Zeitung zu werben und sie bekannt zu machen, um neue Leser zu gewinnen.

Gab es Unterstützung von anderen Zeitungen und Organisationen?

Sozialistische Zeitungen im In- und Ausland haben sehr solidarisch berichtet. Aber viel wichtiger sind Kommentare und Beiträge von Journalisten in bürgerlichen Medien, die uns politisch völlig fernstehen. Ronnen Steinke von der Süddeutschen Zeitung hat unsere Redaktion besucht. Er war irritiert und entsetzt, dass wir dort Bilder von Fidel Castro und Lenin haben und unsere antiimperialistische Linie gefällt ihm überhaupt nicht. Aber er hat in seinem Artikel deutlich gemacht, dass es nicht Aufgabe eines Geheimdienstes sein darf, einer Zeitung eine politische Linie aufzuzwingen. Auch Deniz Yücel - bestimmt kein Freund von uns - hat in der WELT deutlich gemacht, dass Pressefreiheit auch für „abwegige" und „verstörende" und „radikale" Ansichten gelten muss und eine Kritik am Kapitalismus sogar durch das Grundgesetz geschützt ist. Mandy Tröger von der Berliner Zeitung schrieb vor dem Prozess, man müsse uns Erfolg wünschen, denn wenn legitime Kritik zum vermeintlichen Verfassungsfeind wird, stirbt ein Stück Pressefreiheit einen stillen Tod. Es könne nicht darum gehen, alle Beiträge in der Zeitung zu bewerten, aber zu einer funktionierenden Demokratie gehöre der kritische Diskurs, betonte der Bundesvorsitzende der Naturfreunde Deutschlands und frühere SPD-Staatssekretär Michael Müller in einem Brief an jW vor dem Prozess Eine Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sei ein alarmierendes Zeichen. Dem sich immer stärker ausbreitenden Konformismus im Lande, vor allem dem Kriegskonformismus wollten und könnten sich die Naturfreunde nicht anschließen. Reporter ohne Grenzen wünschten uns viel Erfolg vor dem Prozess. Auch der Deutsche Journalistenverband kündigte an, unseren Fall sehr genau zu beobachten. 

Was sagst du zum Verbot der Zeitschrift Compact?

Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Bundesinnenministerium die auflagenstärkste faschistische Zeitschrift Compact drei Tage vor unserem Prozess verboten hat. Die Regierung stellt sich ja so da, dass sie die demokratische Mitte bildet, die gegen die rechten und linken Extremisten kämpft. Da war das Compact-Verbot ein Wink an das Gericht, auch gegen uns als linke Zeitung entsprechend zu urteilen. Natürlich müssen wir der Compact keine Träne nachweinen, das war ein übles rassistisches Hetzblatt. Der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, ein ehemaliger Linker, gilt als der deutsche Dogu Perincek von seiner Biografie und Linie her. Aber das Compact-Verbot war so, wie es begründet wurde, natürlich auch ein Schlag gegen die Pressefreiheit. Hier wurde eine Zeitschrift kurzerhand mit dem Vereinsgesetz als Verein verboten. Allerdings war das nicht das erste Mal. Auch der Mezopotamien-Verlag wurde ja mit Hilfe des Vereinsgesetzes verboten - und damals hatten vermutlich Faschisten applaudiert, die jetzt selbst dieses Instrument zu spüren bekamen. Diese Regierung setzt den Inlandsgeheimdienst zunehmend als politisches Werkzeug gegen alle ein, die sie als Konkurrenten sieht oder die unliebsamen Meinungen verbreiten. Und leider applaudieren viele Liberale und ehemalige Grüne der Bundesregierung dem Compact-Verbot und sehen nicht, dass mit so einem Verbot demokratische Grundrechte nicht verteidigt, sondern beschädigt werden.