Erdoğan wieder auf Liste der „Pressefeinde“

Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat ihre neue Liste mit den weltweit größten „Feindinnen und Feinden der Pressefreiheit“ veröffentlicht. Recep Tayyip Erdoğan wird seit 2009 geführt; weil er die Presse nur mag, wenn sie unterwürfig und folgsam ist.

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen” (RSF) hat ihre neue Liste mit den weltweit größten „Feindinnen und Feinden der Pressefreiheit“ veröffentlicht. Sie umfasst 37 Staats- und Regierungsoberhäupter, die in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit verkörpern. Mit Viktor Orbán steht zum ersten Mal ein EU-Ministerpräsident auf der Liste, „der seit seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 2010 Pluralismus und Unabhängigkeit der Medien in Ungarn angreift”, erklärte RSF. Neu dabei sind auch der „immer wieder gegen Reporterinnen und Reporter hetzende” brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman. Letzterem wirft RSF unter anderem wegen des Mordes an Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

„Methodik: aggressive Demokratie“

Fester Bestandteil der Liste der Pressefeinde seit inzwischen 2009 ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Unter dem Label „Methodik: aggressive Demokratie“ bescheinigt RSF dem pseudoosmanischen Regimechef, dass dieser die Presse nicht möge. „Oder besser gesagt, er mag sie nur, wenn sie unterwürfig und folgsam ist und Lobreden auf ihn hält.” Kritische Stimmen würden durch eine „weit auslegbare Antiterrorgesetzgebung“, die Missbrauch jeder Art zulasse, aber auch durch ein Gesetz verfolgt, das „Beleidigung des Präsidenten“ unter Strafe stellt. „Mit verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Mitteln kontrolliert Erdoğan fast alle größeren Mediengruppen (insbesondere das Fernsehen). Der im Juli 2016 nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand führte zu einer Verhaftungswelle von Journalistinnen und Journalisten nie gekannten Ausmaßes sowie zur Schließung von über 100 Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsendern und Rundfunkstationen“, kritisiert RSF.

Radiojournalist von Hörer erschossen

Zwar seien in einigen wenigen Gerichten oder hohen gerichtlichen Instanzen Anzeichen von Widerstand zu sehen. Das angespannte Klima fördere allerdings Gewalt gegen Pressevertreter:innen. RSF seien über Medienschaffende bekannt, die in den vergangenen fünf Jahren attackiert worden sind. Vergangenen März war mit Hazım Özsu ein Journalist, der für einen Radiosender in Bursa arbeitete, von einem Hörer erschossen worden. Bei seiner Vernehmung hatte der Täter angegeben, ihm habe die Wortwahl von Özsu „nicht gefallen“. 

Bevorzugte Ziele: Kritische Journalistinnen und Journalisten

Gleich, ob sie links, pro-kurdisch, der Gülen-Bewegung nahe stehend, laizistisch oder nationalistisch sind: Als kritisch angesehene Medienschaffende oder Medien stünden in der Türkei unter Beschuss. Auch wenn das von Erdoğan und dessen AKP geführte Land nicht mehr das größte Gefängnis der Welt für Journalistinnen und Journalisten sei, wäre die Gefahr, eingesperrt zu werden, und die Angst, unter Polizeiaufsicht oder ohne Reisepass arbeiten zu müssen, „allgegenwärtig“, hält RSF fest. „2020 wurden rund 50 Medienschaffende vorübergehend festgenommen, weil sie insbesondere über die Lage der syrischen Geflüchteten an der Grenze zu Griechenland oder über die Covid-19-Pandemie geschrieben hatten.“ Auch die Zensur im Internet zu allen Themen öffentlichen Interesses, die regierungsnahe Persönlichkeiten in Frage stellen, sei gang und gäbe: Über 1.300 Links zu Online-Artikeln über Korruption, Vetternwirtschaft usw. seien allein im vergangenen Jahr durch Richter, die Erdoğan „unterworfen“ seien, zensiert worden.