Kommentar: Widerstand darf nicht auf die Gefängnisse beschränkt bleiben

In den türkischen Gefängnissen findet ein Widerstandskampf auf Leben und Tod statt. Immer wieder kommen Leichen aus den Gefängnissen. Der Widerstand gegen die Unterdrückung darf nicht auf die Gefängnisse beschränkt bleiben.

Ein Blick in die Kerker reicht, um den Charakter des Regimes in der Türkei zu begreifen. Die Situation legt den faschistischen Charakter der AKP/MHP-Herrschaft vollkommen offen. Diese Kerker und Folterzentren wurden geschaffen, da der Regierung die Unterdrückung draußen nicht ausreichte. Jetzt ist es normal, dass jeden Tag neue Tote aus den Kerkern erwartet werden. Kurdisch zu sein reicht allein aus, um Folter und Repression zu erfahren.

Lassen wir die Situation in den Kerkern beiseite und betrachten die Haltung der Polizei im Norden, Westen und Süden der Türkei gegenüber der Bevölkerung mit ihrer Haltung in den kurdischen Provinzen, dann wird offensichtlich, dass in der Türkei Kurd:innen eine drastisch andere Behandlung zukommt. Es geht nicht mehr nur um die HDP oder politisch engagierte Kurd:innen, sondern um Kurd:innen unterschiedlicher politischer Ausrichtung.

Es ist praktisch nicht möglich, ein türkisches Gefängnis gesund zu verlassen“

Fast täglich kommen Leichen von Gefangenen aus den Kerkern, aber das Thema wird nicht ausreichend auf die Tagesordnung gesetzt. Die Gefängnisse in der Türkei sind so konstruiert, dass es praktisch nicht möglich ist, gesund aus ihnen wieder herauszukommen. Aus diesem Grund gibt es in der Türkei das Problem der kranken Gefangenen. Tausende werden mit ernsten Krankheiten in Haft gehalten. Auf diese Weise will man den Willen der politischen Gefangenen brechen. Die Methoden zur Zerstörung des Willens der Gefangenen und zur Erzwingung einer Kapitulation der Gefangenen, die nach Putsch am 12. September 1980 praktiziert wurden, werden heute auf modernisierte Weise fortgesetzt. Es sollen mit raffinierteren und weniger offensichtlichen Methoden dieselben Resultate wie unter dem Putschregime erzeugt werden. Grausame Folter wird ebenfalls angewandt, aber eine Lehre, die aus dem 12.-September-Faschismus gezogen wurde, ist, vor allem auf Methoden zu setzen, die nicht sofort die Öffentlichkeit auf den Plan rufen. Mit anderen Worten, sie haben die Methoden der Folter und Unterdrückung verstärkt und diversifiziert.

Reue wird als Vorbedingung zur Entlassung gemacht“

Krankheit ist in den Gefängnissen zu einem Mittel der Unterdrückung und zum Brechen von Gefangenen geworden. Die Menschen, die von den Gerichten der 12.-September-Junta abgeurteilt wurden, wurden sofort freigelassen, nachdem sie ihre Strafe abgesessen hatten. Jetzt wird „Reue“ zur Vorbedingung einer Entlassung gemacht. So eine Praxis ist nirgendwo auf der Welt zu finden. Das faschistische AKP/MHP-Regime versucht, die Unterwerfung drinnen und draußen zu erzwingen. Denn es gibt für das Regime keine andere Möglichkeit mehr, sich auf den Beinen zu halten.

Die AKP-Regierung agiert auf der Grundlage primitiver Rachegelüste“

Das AKP-Regime hat selbst in einer Zeit, als das politische Klima nach 2013 entspannter war, keinen einzigen kranken Gefangenen entlassen. Obwohl es der PKK versprochen wurde und sie daraufhin sämtliche gefangenen Soldaten und Polizisten freigelassen hatte, wurde kein kranker Gefangener freigelassen. Die AKP-Regierung agiert auf der Grundlage primitiver Rachegelüste. Die Welt hat bereits erfahren, dass Tayyip Erdoğan eine politisch rachsüchtige Persönlichkeit ist. Er will die Opposition in Angst und Schrecken versetzen. Aber eine solche Politik und ein solcher Politiker, der eine solche Haltung gegenüber den Menschen im Gefängnis verfolgt, leben nicht lange. Diese Politik hat jeglichen Wert verloren. Wer keine menschlichen und sozialen Werte vertritt, hat auch keine Zukunft. Tatsächlich erleben das die AKP/MHP-Regierung und Erdoğan am eigenen Leib.

Erdoğan will Aysel Tuğluk im Gefängnis lebendig begraben“

Gerade rächt sich Tayyip Erdoğan an einer Politikerin. Aysel Tuğluk, die ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP und zwei Legislaturen lang Abgeordnete, soll im Gefängnis getötet werden. Im Geiste Erdoğans und seines politischen Zwillings Devlet Bahçeli wurde der Leichnam ihrer Mutter aus dem Grab geholt. Die Beisetzung der Mutter einer kurdischen Politikerin in Ankara wurde verhindert. In der gleichen Geisteshaltung begraben die AKP/MHP-Politiker gemeinsam Aysel lebendig in einem Betonsarg. Ohne Zweifel werden sich die demokratischen Politiker:innen im Gefängnis dem Regime nicht beugen. Sie leben bis zu ihrem letzten Atemzug aufrecht in den Kerkern.

Wie Pir Seyit Riza, einer der ehrenwerten Anführer des Widerstands von Dersim, sagte, soll dies ein Fluch für Erdoğan und Bahçeli sein! Als Frau aus Dersim wird Aysel Tuğluk ihre ehrenvolle Haltung bis zu ihrem letzten Atemzug aufrechterhalten, so wie Pir Seyit Rıza.

Aysel Tuğluk ist Rechtsanwältin. Sie war auch unsere Anwältin und hat uns an der Kerkertür abgeholt, als wir entlassen wurden. Wir fühlen uns geehrt, dass eine solch ehrenwerte Person uns als Anwältin vertrat.

Die Gefangenen sind unsere Würde – Wir müssen unsere Würde verteidigen“

Die kurdischen Politiker:innen nehmen eine würdige Haltung in den Gefängnissen ein. Sie setzen das Erbe des Gefängniswiderstands vom 12. September fort. Kurdische Revolutionär:innen und Politiker:innen stehen in dieser Tradition. Das kurdische Volk ist für seine Kinder in den Gefängnissen immer eingetreten, und das ist auch heute so. Aber es muss diese Haltung verstärken. Es wäre nicht richtig, den Widerstand gegen Unterdrückung allein den Menschen in den Kerkern zu überlassen. Das wäre auch moralisch ein Fehler. Die Gefangenen haben keine anderen Mittel zum Kampf als ihre bloßen Körper und ihre Überzeugungen. Aber draußen gibt es tausend Wege zu kämpfen. Weder die Menschen im Kerker noch ihre Familien sollten allein gelassen werden. Sie sind unsere Würde, und wir müssen für unsere Würde eintreten.