Ministerium fordert Entschädigung von Gefallenenfamilien

Im Mai 2011 griff eine Guerillaeinheit im Norden der Türkei einen Konvoi von Recep Tayyip Erdogan an. Jetzt, nach fast zehn Jahren, verlangt das Innenministerium von den Familien der beteiligten Kämpfer eine Entschädigung.

Am 4. Mai 2011 hatte eine HPG-Einheit unter dem Kommando des Guerillakommandanten Yakup Tokay (Nom de Guerre: Mazlum Volkan) an der Schwarzmeerküste einen Konvoi des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan angegriffen. Die Fahrzeugkolonne war gerade auf dem Rückweg von einer Wahlveranstaltung in der Provinz Kastamonu, als im Umland des Dorfes Ozarmut der Angriff erfolgte. Offiziellen Angaben zufolge wurde ein Polizist dabei getötet, ein weiterer verletzt. Jetzt, fast zehn Jahre nach dem Vorfall, verlangt das türkische Innenministerium von den Familien beteiligter Guerillakämpfer eine Entschädigung – wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums.

Betroffen von der zynischen Prozedur sind die Angehörigen von Yakup Tokay, Sancar Buluç und Yılmaz Suiçer, die zu verschiedenen Zeitpunkten im Kampf gegen die türkische Armee ums Leben gekommen sind, sowie die Familien der HPG-Mitglieder Mehmet Kurt und Cihan Temel. Sie gerieten im Zuge von Militäroperationen in Gefangenschaft und wurden zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Innenministerium fordert von den Angehörigen eine Entschädigung in Höhe von knapp 120.000 TL, umgerechnet etwa 12.900 Euro, und hat sich hierfür an die 2. Zivilkammer des Landgerichts Kastamonu als zuständiges Gericht der ersten Instanz gewendet. Die Familien sind nun von der Pfändung ihres Eigentums sowie Bankkonten bedroht.

„Als ich vor zehn Tagen die Zustellung der Anklage erhielt, war das so, als würde ich den Tod meines Sohnes noch einmal erleben“, sagte Hediye Buluç, Mutter von Sancar Buluç (Seyit Rıza). „Mit diesem Schritt signalisiert uns der Staat, dass er uns Hinterbliebene nicht in Ruhe lassen wird“. Vermögen oder Einnahmen habe sie nicht, führt sie weiter aus. „Wenn eine Mutter ihr Kind auf diese Weise verliert, verliert sie ihr Herz. Ich habe nur noch diesen Körper, sollen sie kommen und ihn sich holen.“

Hediye Buluç

Es ist nicht das erste Mal, dass Hediye Buluç nach Feindstrafrecht behandelt wird. Am 3. Juni 2011, sechs Tage nach dem Tod Sancar Buluçs bei Auseinandersetzungen mit türkischen Soldaten in Kastamonu, tauchten Bilder auf die zeigten, dass sein Leichnam verstümmelt worden war. Dem Guerillakämpfer wurde das rechte Auge herausgerissen und der Körper mit Chemikalien verätzt. Die Verstümmelung von Leichen kurdischer Kämpferinnen und Kämpfer gehört zum systematisch angewandten Repertoire der psychologischen Kriegsführung des türkischen Staates. Auch ihre Ruhestätten werden regelmäßig geschändet. Das Grab von Sancar Buluç im nordkurdischen Dersim wurde sogar mehrmals auf Betreiben türkischer Behörden zerstört.