Drei Jahre sind mittlerweile seit der staatlich angeordneten Verwüstung des Friedhofs Garzan bei Bedlîs (Bitlis) und der Verschleppung der Leichen hunderter Kämpferinnen und Kämpfern der kurdischen Freiheitsbewegung vergangen. Bisher gelang es lediglich den Angehörigen von 22 Gefallenen, die sterblichen Überreste ihrer Toten wieder einzufordern und in Würde an einen – hoffentlich – letzten Ort der Ruhe zu begleiten. Nazmiye Kaya gehört zu den Müttern weiterer 260 Gefallener, denen die Knochen ihrer Kinder nach wie vor vorenthalten werden. Zusammen mit Mitgliedern des Hilfsvereins für Gefallenenfamilien (MEBYA-DER) startete sie heute einen erneuten Versuch, an das Gewissen der Verantwortlichen zu appellieren.
„Ich dachte bisher, dass die Bombardierung eines Friedhofs an Grausamkeit kaum zu übertreffen sei. Doch ich habe mich geirrt. Die Vorenthaltung der Leiche meines Sohnes ist nicht mehr auszuhalten. Ich will die Knochen meines Kindes“, sagte Kaya bei der Zusammenkunft auf dem Friedhof Yeniköy in Amed. Ihr Sohn Ulaş Çelik, ein Guerillakämpfer der ARGK (Vorgängerorganisation der HPG), fiel im Jahr 1996 in Garisa bei Bedlîs im Kampf gegen die türkische Armee. Danach wurde er in Garzan bestattet, in der Nähe des Dorfes Oleka Jor (Yukarı Ölek). Die Ruhestätte wurde im Dezember 2017 von der türkischen Armee in Schutt und Asche verwandelt. Insgesamt 282 Angehörige der kurdischen Guerillaorganisationen HPG und YJA-Star sowie der YPG und YPJ waren dort begraben. Ihre Leichname wurden von Sicherheitsbehörden auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Istanbul exhumiert und zur dortigen Gerichtsmedizin verschleppt. Anschließend wurden sie auf dem jüdischen Friedhof Kilyos unweit des gleichnamigen Badeortes am europäischen Eingang des Bosporus begraben. In einem Abschnitt für „Tote ohne Namen“.
Nazmiye Kaya: Ich will die Knochen meines Kindes
Erst seit Ende 2019 ist bekannt, wohin die verschleppten Knochen gebracht wurden. Doch bereits im Jahr 2018 gab Nazmiye Kaya Blutproben für einen DNA-Abgleich ab, um die Leiche ihres Sohnes ausgehändigt zu bekommen. Laut den türkischen Behörden würden die Ergebnisse der Analyse noch immer nicht vorliegen. Der Verein MEBYA-DER spricht von systematischer psychologischer Kriegsführung. „Es kann nicht sein, dass es zwei Jahre und länger braucht, bis DNA-Proben abgeglichen werden. Es handelt sich um eine gezielte Taktik, um eine ganze Gesellschaft zu zermürben“, sagt ein Vereinsverantwortlicher. Dieser Umgang mit den Gefallenen und ihren Familien sei mit der Menschenwürde nicht vereinbar.
Dass die Überreste der Kämpferinnen und Kämpfern nicht in regulären Gräbern, sondern in Plastikboxen verpackt und aufeinandergestapelt unter einem Gehweg liegen, deckte Mezopotamya (MA) im Frühjahr auf. Seitdem wollen die politisch motivierten Verfahren gegen die kurdische Nachrichtenagentur und ihre Belegschaft nicht enden.