Türkei: Folter und illegale Pushbacks afghanischer Schutzsuchender
Schutzsuchende aus Afghanistan berichten von Misshandlungen, Folter und illegalen Zurückweisungen an der türkischen Ostgrenze.
Schutzsuchende aus Afghanistan berichten von Misshandlungen, Folter und illegalen Zurückweisungen an der türkischen Ostgrenze.
Die nordkurdische Provinz Wan wird von Ostkurdistan durch die türkisch-iranische Grenze getrennt. Die Grenze besteht mittlerweile aus einem meterhohen, mit modernster Überwachungstechnologie ausgestatteten Wall. Die Notlage der Menschen, die vor dem Taliban-Regime in Afghanistan fliehen, ist trotz der massiven, von der EU unterstützten Abschreckungsmaßnahme an der türkischen Grenze so gravierend, dass sie immer wieder den gefährlichen Weg über die Grenze wagen. Der britische Guardian führte mehrere Interviews mit Schutzsuchenden in der Region.
„Ich fühle mich nicht wie ein Mensch“
Einer der Interviewpartner ist der 22-jährige Sangeen, ein ehemaliger afghanischer Soldat. Seine Arme sind mit frischen Schnitten übersät und er hat ein blaues Auge. Sangeen sagt mit zitternden Beinen: „Mir geht es nicht gut. Ich fühle mich nicht wie ein Mensch.“ Er sagt, dass er im vergangenen Monat dreimal die türkisch-iranische Grenze, etwa 50 Meilen östlich von Wan, überquert habe. Jedes Mal sei er von türkischen Grenzsoldaten aufgegriffen und zurück in den Iran abgeschoben worden. Er berichtet, dass er dabei von türkischen Soldaten gefoltert und misshandelt worden ist.
Gewalt der Sicherheitskräfte hat zugenommen
In den Monaten seit der Machtübertragung der Herrschaft in Afghanistan an die Taliban hat die Gewalt gegen Schutzsuchende durch türkische Sicherheitskräfte in Nordkurdistan stark zugenommen. Dies geht aus einer Untersuchung des Guardian hervor, die Interviews mit mehreren Opfern von Pushbacks, in der Region tätigen Menschenrechtsanwälten und unabhängigen Beobachtern umfasst.
Systematische Pushbacks
Nach Angaben der UN-Migrationsorganisation IOM flohen in den letzten Monaten jede Woche zwischen 20.000 und 30.000 Menschen aus Afghanistan. Laut Orhan Deniz, Professor für Migration an der Van Yüzüncü Yıl Universität, versuchen viele die 1.400 Meilen lange Reise durch den Iran und das Zagros-Gebirge bis zur türkischen Grenze und in Städte wie Elbak (Başkale), Ebex (Çaldıran), Mehmûdî (Saray) und Qerqelî (Özalp) zu bewältigen.
Der Anwalt Mahmut Kaçan erklärt gegenüber dem Guardian, dass die türkischen Behörden „systematisch“ die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 brechen, Asylanträge von Afghan:innen würden überhaupt nicht angenommen. Nicht nur das rassistische AKP/MHP-Regimes, das in Schutzsuchenden immer nur ein Mittel gesehen hat, um die EU unter Druck zu setzen, sondern auch die EU ist für diese Politik mitverantwortlich. Die Grenze zum Iran wurde im August weiter mit einer 183 Kilometer langen Betonmauer ausgebaut. Verteidigungsminister Hulusi Akar erklärte, die Ostgrenze sei mit Wärmebild- und Nachtsichtkameras sowie mit mehr Truppen, darunter 750 Spezialeinsatzkräften, verstärkt worden. Karolína Augustová, Stipendantin am Istanbul Policy Centre der Sabanci-Universität, die im September einen Bericht über Pushbacks durch die Türkei veröffentlichte, sagte, die Weigerung der Europäischen Union, eine größere Rolle in der Krise zu spielen, sei ein Schlüsselfaktor gewesen. „Die Pushbacks werden nicht nur durchgeführt, weil die Türkei beschlossen hat, ihre Grenzpolitik zu verschärfen. Es liegt an der Flüchtlingspolitik der EU."
Schutzsuchende werden auf immer gefährlichere Routen gedrängt
Metin Çorabatir, Vorsitzender des in Istanbul ansässigen Forschungszentrums für Asyl und Migration (IGAM), erklärte dem Guardian gegenüber, die Weigerung, vielen afghanischen Flüchtlingen die legale Einreise in die Türkei zu gestatten, zwinge sie auf immer tödlichere Routen. Er verwies auf einen Vorfall, bei dem bis zu 60 afghanische Flüchtlinge bei der Überquerung des Wan-Sees ertranken. „Wir haben ihre Bedingungen gesehen, sie sind sehr müde und werden von Schmugglern ausgebeutet. Sie sind nach langen Fußmärschen verletzt, hungrig und haben kein Wasser. Sie werden gezwungen, ihr Leben unnötig zu riskieren."
„Berge mit Leichen übersät“
Sangeen, der zwei Tage, nachdem Kabul im August von den Taliban eingenommen wurde, aus der Stadt geflohen war, berichtete, dass die Berge auf der türkischen Seite der Grenze mit Leichen übersät seien.
Raub und Misshandlung durch Grenzsoldaten
Diebe hätten ihm 150 Dollar gestohlen, berichtet er, und türkische Grenzsoldaten hätten ihm sein Telefon auf den Kopf geschlagen, seine Kleidung verbrannt und ihn wiederholt ins Gesicht getreten. „Wir waren in großer Gefahr“, sagte er. Ein anderer Flüchtling erklärt, ein türkischer Soldat habe ihm mit einem Metallhelm die Hand zerschmettert, wodurch seine Finger anschwollen und sich infizierten. Andere sprachen von Schlägen und der Zerstörung ihres Hab und Guts durch die türkische Armee.
Sangeen, der in Wan festsitzt, sagt: „Sie gehen gewaltsam gegen uns vor, um uns an der Einreise zu hindern. Es ist illegal, was sie tun. Sie sollten uns das nicht antun. Ich kann nicht zurück nach Afghanistan gehen. Es gibt dort keine Zukunft. Es ist vorbei.“