Mauer durch Kurdistan

Der türkische Staat baut die Grenze zum Iran zu einer Festung aus. Leidtragende sind die Bauern in der Grenzregion. Der DBP-Politiker Ejder Ekinci glaubt nicht an Sicherheitsbedenken, vielmehr geht es um die kurdische Frage.

Vor 78 Jahren wurden auf Befehl des türkischen Generalleutnants Mustafa Muğlalı 33 Kurden in Wan an der Grenze zum Iran mit gefesselten Händen erschossen. Das Massaker vom 30. Juli 1943 am Rande des Baches Sefo wurde damit begründet, dass die Dorfbewohner Schmuggler seien und ständig illegal die türkisch-iranische Grenze überquert hätten. Erst als sieben Jahre später ein Überlebender von dem Massenmord berichtete, wurde Muğlalı zunächst zum Tode und später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Genau an dieser Stelle errichtet der türkische Staat eine Grenzmauer zwischen Nord- und Ostkurdistan. Das teilte Provinzgouverneur M. Emin Bilmez vor einigen Tagen mit. Bereits vorher sind Gräben gezogen und eine Verbotszone eingerichtet worden, daher können die Dorfbewohner ihr Land nicht bestellen und ihre Tiere nicht weiden lassen. Mit der Errichtung der Mauer werden die Anwohner einen Kilometer von der Grenze entfernt gehalten. Die Dorfbewohner, die Ländereien innerhalb des Sperrgebiets haben, erwartet eine schwere Zeit.

Regierungen ändern sich, aber der Staat bleibt“

Das Dorf Sirimli im Kreis Mehmûdî (tr. Saray) liegt in unmittelbarer Nähe zur iranischen Grenze. Die meisten der 33 erschossenen Kurden stammten von hier. Damals wie heute leiden sie unter dem staatlichen Vorgehen. Cizeyir Özkaplan hat bei dem Massaker vor 78 Jahren Verwandte verloren. Das damalige Blutbad ist nach wie vor unvergessen im Dorf, sagt er:. „33 Menschen sind unschuldig hingerichtet worden. Die Regierungen ändern sich, aber der Staat bleibt. Wir warten immer noch darauf, dass der Staat um Vergebung bittet. Stattdessen errichtet er jetzt eine Mauer, die zu weiterem Elend führen wird – als ob er das Massaker noch einmal bestätigen möchte. Die Menschen hier sind die Nachkommen der damals Ermordeten. Wir fordern bereits seit längerer Zeit, dass dort ein Mahnmal errichtet wird. Die Verbotszone ist jetzt noch ausgeweitet worden. Wir können immer noch nicht an den Ort des Massakers gehen und die Toten von damals haben seit 78 Jahren nicht einmal ein Grab.“

Die gesamte Region wird militärisches Sperrgebiet“

Laut Özkaplan ist an der Grenze zunächst Stacheldraht in einer Breite von fünf Metern gezogen worden, anschließend wurden tiefe Gräben errichtet. „Diese Gräben besetzen unser Gelände und schaden uns sehr. Wir leben hier von Ackerbau und Viehzucht und können unsere Tiere nicht weiden lassen. Das ist ein großes Problem für uns. Wenn die Mauer direkt auf der Grenzlinie verlaufen würde, wäre es etwas anderes, aber teilweise reicht sie 500 Meter auf unser Gelände und es soll verboten werden, sich der Mauer 500 Meter zu nähern. Das wäre das Ende für die Landwirtschaft hier. Die gesamte Region wird dann zu militärischem Sperrgebiet“, erklärt der Dorfbewohner.

Wir haben Verwandte auf der anderen Seite“

Ein weiteres Problem für die Bevölkerung ist die ständige Schließung des Grenzübergangs Kapiköy, sagt Özkaplan: „Wir haben Verwandte auf der anderen Seite und besuchen uns gegenseitig bei Trauerfällen oder Hochzeiten. Die Verbindung unter uns soll jetzt vollständig gekappt werden. Es geht uns nicht um den Grenzhandel oder den Einkauf, aber wir sehen ja, dass jeden Tag Hunderte Flüchtlinge problemlos die Grenze überqueren. Wir können hingegen nicht einmal unsere Tiere auf die Weide bringen. Dadurch entstehen Fragezeichen im Kopf. Wie kann es sein, dass afghanische Flüchtlinge kommen und Tausende Menschen bis nach Wan gehen, aber wir unser Dorf nicht verlassen können?“

Das kurdische Volk soll gespalten werden“

Auch der DBP-Politiker Ejder Ekinci lehnt den Mauerbau ab. Er ist der Meinung, dass Sicherheit nicht mit einer Mauer, sondern nur mit Frieden und Geschwisterlichkeit gewährleistet werden kann: „Man kann das Land nicht mit einer auf Kurdenfeindlichkeit basierenden Politik entlang der von Kurden bewohnten Grenze sicherer machen. Anstatt Mauern an der Grenzlinie hochzuziehen und sich zum Feind unserer auf der anderen Seite der Grenze lebenden Nachbarn und Völker zu machen, muss für die Sicherheit des Landes sofort die reaktionäre, rassistische und expansionistische Politik im In- und Ausland beendet werden.

Dass Mauern aus Sicherheitsgründen errichtet werden, ist vollkommen unglaubwürdig. Es reicht nicht aus, die Situation nur mit Sicherheitsbedenken zu erklären. Das wesentliche Problem ist die kurdische Frage. Es handelt sich um den Versuch, den Austausch und die Kommunikation der Kurden untereinander zu unterbinden. Der Staat hat begriffen, dass er mit Verleugnung nicht weiterkommt. Deshalb will er physische Hindernisse installieren. Hier spiegelt sich das Denken wider, mit dem die Kurden beherrscht werden sollen. Es wird eine Mauer zwischen ihnen gebaut. Das Volk soll gespalten werden. Inzwischen ist es jedoch nicht mehr möglich, über die Sicherheitspolitik Ergebnisse zu erzielen, egal welche Maßnahmen der Staat ergreift.“