Kampf für die Verschwundenen
Die Samstagsmütter haben auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul Aufklärung über das Schicksal ihrer in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen und eine Bestrafung der Täter gefordert. Thema der 1019. Mahnwache der Initiative war das Schicksal von Düzgün Tekin, der vor 29 Jahren verschwand und nie wieder auftauchte. Gülseren Yoleri, Vertreterin des Menschenrechtsvereins IHD, die zur Unterstützung gekommen war, stellte den Fall vor.
Düzgün Tekin stammte ursprünglich aus Dersim und gehörte einer kurdisch-alevitischen Familie an. Der 21-jährige Sozialist lebte und arbeitete in Istanbul, trat für den revolutionären Klassenkampf ein und war Delegierter der Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften der Türkei (DISK). Am 21. Oktober 1995 verließ er die Wohnung seines Bruders im Istanbuler Stadtteil Güneşli, um zur Arbeit zu gehen. Das war das Letzte, was seine Familie von ihm sah.
In den Tagen vor seinem Verschwinden vermutete Düzgün Tekin, beschattet zu werden. Zivil gekleidete Personen verfolgten ihn auf Schritt und Tritt und das Kennzeichen eines von drei fremden Autos, die seit einer Woche ständig vor dem Haus parkten und deren Insassen die Wohnung des Bruders zu beobachten schienen, notierte er auf einem Zettel: 34 F 6676. Seit dem Tag des Verschwindens seines wurden auch die Fahrzeuge nie wieder gesehen.
Die Angehörigen Düzgün Tekins vermuteten schnell, dass der 21-Jährige festgenommen worden sein könnte. Bei Polizei, Staatsanwaltschaft und den Staatssicherheitsgerichten hieß es aber immer wieder, man wisse nicht, wo der junge Mann geblieben sei. Der IHD und der Anwaltsverein ÇHD stellten mehrfach Strafanzeige und initiierten Kampagnen, auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schaltete sich ein und machte auf das Schicksal von Düzgün Tekin aufmerksam. Doch die türkischen Behörden waren nicht gewillt, für Aufklärung zu sorgen.
Rund eineinhalb Jahre nach dem plötzlichen Verschwinden des Kurden machte Kasım Açık, ein Ex-Killer des türkischen Militärgeheimdiensts JITEM, öffentlich, dass Düzgün Tekin nicht mehr lebte. Er sei am 21. Oktober 1995 von einem Tötungskommando des JITEM entführt, verhört, gefoltert und schließlich ermordet worden. Seinen Leichnam habe man auf einer Müllhalde in einem militärischen Sperrgebiet in der Nähe von Edirne entsorgt. Daraufhin wurde erneute Strafanzeige gestellt und auch eine Suchaktion erwirkt. Am 27. Mai 1997 rückten Einheiten von Polizei und Feuerwehr an, um die Deponie nach Düzgün Tekins sterblichen Überresten zu durchsuchen.
Ein weiteres Glied in der Kette der Straflosigkeit für staatliche Morde
Doch die Untersuchung wurde nur oberflächig durchgeführt, fündig wurden die Behörden nicht. Trotz detaillierten Angaben des JITEM-Killers Açık zum Ablauf der Entführung Tekins, seines Verhörs in einer Folterkammer der paramilitärischen Organisation, seiner späteren Ermordung und genauen Hinweisen zur Stelle, wo die Leiche abgelegt wurde, kamen die Akten zum Fall Düzgün Tekin ins Archiv der Justizbehörden. „Und somit wurde das Schicksal dieses jungen Menschen zu einem weiteren Glied in der Kette der Straflosigkeit für staatliche Morde und Verschleppungen, die bis heute andauert“, sagte Gülseren Yoleri abschließend. „Doch ganz gleich, wie viele Jahre noch vergehen: Wir werden nicht aufhören, Gerechtigkeit für Düzgün Tekin und für alle unsere Vermissten zu fordern und den Staat stets daran erinnern, dass er innerhalb der universellen Rechtsnormen handeln muss. Darüber hinaus bekräftigen wir unsere Forderung nach der Preisgabe des Ortes, an dem Yedigös Knochen liegen. Seine Angehörigen wollen ein Grab, an dem sie sich in Würde verabschieden können.“