Samstagsmütter erinnern an Mehmet Ertak
Die heutige Kundgebung der Samstagsmütter in Istanbul wurde dem vierfachen Familienvater Mehmet Ertak gewidmet. Der 32-Jährige ist 1992 nach seiner Festnahme in Şirnex verschwunden.
Die heutige Kundgebung der Samstagsmütter in Istanbul wurde dem vierfachen Familienvater Mehmet Ertak gewidmet. Der 32-Jährige ist 1992 nach seiner Festnahme in Şirnex verschwunden.
Vor 24 Jahren ist die Initiative der Samstagsmütter zum ersten Mal auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul auf die Straße gegangen, um gegen die staatliche Praxis zu demonstrieren, Menschen in Gewahrsam zu ermorden und die Leichen verschwinden zu lassen und eine Bestrafung der Täter zu fordern. Seit vergangenem Jahr wird der Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium jeden Samstag von der Polizei abgeriegelt, um die Aktion der Mütter zu unterbinden. Die Frauen und ihre Unterstützer*innen halten ihre regelmäßige Kundgebung daher in einer kleinen Seitenstraße vor der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD ab. Jede Woche wird ein anderer Fall vorgestellt, vor allem aus den 1990er Jahren, als das „Verschwindenlassen“ besonders weit verbreitet war.
Die heutige und mittlerweile 751. Kundgebung der Samstagsmütter wurde dem vierfachen Familienvater Mehmet Ertak gewidmet, der nach seiner Festnahme am 20. August 1992 in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (Şırnak) verschwunden ist. Der damals 32-jährige Ertak war Arbeiter in einer Kohlengrube und lebte mit seiner Familie in der Siedlung Rezuk. Am Tag seines Verschwindens machte er sich nach Feierabend gemeinsam mit drei Arbeitskollegen auf den Weg nach Hause. Das Fahrzeug der Männer geriet in eine Polizeikontrolle; Mehmet Ertak wurde als einziger festgenommen und in die Bezirkspolizeidirektion von Şirnex gebracht. Zuvor war er bereits zweimal festgenommen und in Gewahrsam schwer gefoltert worden. Obwohl seine Zechenkumpel später bezeugten, dass Mehmet Ertak von uniformierten Polizisten mitgenommen wurde und sechs weitere Personen aussagten, gesehen zu haben, dass der „Verschwundene“ in Gewahrsam gefoltert wurde, bestritten die türkischen Behörden, den Mann festgenommen zu haben.
Gendarmeriegeheimdienst-Mitarbeiter gesteht Mord an Mehmet Ertak
Nach mehreren erfolglosen Versuchen von Angehörigen, den Verbleib von Mehmet Ertak aufzuklären, gestand Murat İpek, Mitarbeiter des informellen Geheimdienstes der türkischen Gendarmerie JITEM, dessen Existenz vom türkischen Staat jahrelang geleugnet wurde und der für mindestens vier Fünftel der unaufgeklärten Morde in Nordkurdistan verantwortlich ist, im Jahr 1997 den Mord an dem 32-jährigen Vater von vier Kindern. İpek gab damals zu Protokoll: „Wir haben Mehmet Ertak auf Befehl von Necati Altuntaş, dem Polizeipräsidenten von Şırnak, und Mehmet Kaplan, dem Verantwortlichen der Antiterrorzentrale, getötet und begraben. Alle Hinrichtungen wurden unter Kenntnisnahme vom damaligen Gouverneur für die Provinz unter Ausnahmezustand Ünal Erkan durchgeführt.“
EGMR verurteilt Türkei
Dennoch wurde der Fall vom Kassationshof der Türkei abgewiesen. Der Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi, der im November 2015 während einer Pressekonferenz in der Altstadt von Amed von einem Polizisten erschossen wurde, zog im Fall von Mehmet Ertak vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), um eine Bestrafung der Täter zu fordern. Die Polizei überzog den Anwalt mit Repression und nahm ihn willkürlich fest. Elçi setzte sich durch, die Straßburger Richter verurteilten die Türkei wegen des Mordes an Mehmet Ertak und sprachen seinen Hinterbliebenen Entschädigungszahlungen zu.
Leichnam noch immer nicht gefunden
Seit dem „Verschwinden“ von Mehmet Ertak sind 27 Jahre vergangenen. Noch immer konnte sein Leichnam nicht gefunden werden. Sein Sohn Serhat Ertak erklärte heute: „Weil uns hier keine Gerechtigkeit widerfahren ist, haben wir uns in Tausender Kilometer Entfernung auf die Suche nach ihr gemacht. Aber auch heute noch liegt Gerechtigkeit in weiter Ferne. Die Hoffnung aber stirbt zuletzt. Sollten wir diesen Kampf nicht zu Ende bringen können, werden es diejenigen tun, die nach uns kommen.“