Prozess neu aufgerollt: Erneut Haftstrafen gegen „Bakur“-Macher

Im neu aufgerollten Prozess gegen die Filmemacher Çayan Demirel und Ertuğrul Mavioğlu hat es wieder Haftstrafen wegen ihres Werks „Bakur“ gegeben. Mit je knapp zwei Jahren für angebliche Terrorpropaganda fiel das Urteil diesmal etwas niedriger aus.

Im neu aufgerollten Prozess gegen die Filmemacher Çayan Demirel und Ertuğrul Mavioğlu hat es wieder Haftstrafen gegeben. Ein türkisches Gericht in der nordkurdischen Stadt Êlih (tr. Batman) verhängte am Donnerstag wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ je ein Jahr und dreizehn Monate Gefängnis gegen Demirel und Mavioğlu. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung hat angekündigt, die Entscheidung anzufechten.

Der Schuldspruch gegen Çayan Demirel und Ertuğrul Mavioğlu steht im Zusammenhang mit der Dokumentation „Bakur“ (Kurdisch für „Norden“). In dem Werk bieten die beiden Regisseure intime Einblicke in den Alltag der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Dokumentation entstand im Zuge der Rückzugsentscheidung der PKK aus Nordkurdistan im Rahmen des Dialogprozesses zwischen der türkischen Regierung und Abdullah Öcalan in den Jahren 2013 bis 2015. Verschiedene Guerillaeinheiten werden mit der Kamera begleitet, um den Alltag und die Meinungen der Kämpferinnen und Kämpfer festzuhalten, unter anderem in Dersim. Dabei reflektiert die Dokumentation große Themen wie die Frage nach Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung und Frieden und zeigt die Motive der Menschen, die für diese Ideale kämpfen.

Çayan Demirel ist seit einem Schlaganfall im Jahr 2016 schwerbehindert. Trotzdem wird er von der türkischen Justiz intensiv verfolgt. Seine Verteidigerin spricht in diesem Zusammenhang von „Feindstrafrecht“. | Foto: Agos


In einem ersten Verfahren waren Demirel und Mavioğlu im Juli 2019 wegen angeblicher Terrorpropaganda zu je viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein regionales Berufungsgericht hatte die Schuldsprüche im Februar 2022 auf Antrag der Verteidigung wieder aufgehoben und den Fall zur neuen Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen. Zur Begründung hieß es, die Strafen gegen die Filmemacher seien „übermäßig hoch“ ausgefallen. Der neue Prozess gegen Demirel und Mavioğlu war seit Mai letzten Jahres anhängig.

Hintergrund des Verfahrens war ein Polizeiprotokoll über eine Vorführung von „Bakur“ im Frühjahr 2015 in Êlih. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Anti-Terror-Gesetz ein. Demirels Verteidigerin Meral Hanbayat Yeşil kritisierte vor Gericht, die Klageschrift beruhe einzig auf dem subjektiven Bericht eines Polizeibeamten, und sprach von einer „Phantom-Anklage“. Weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft hätten sich den Film angesehen, auch fehlte die Einbeziehung der Meinung einer sachverständigen Person.

Offizieller Trailer von Bakur


„Entgegen der Annahme der Anklage betrachten wir dieses Verfahren als Intervention gegen die künstlerische Ausdrucksfreiheit“, fügte der Präsident der Rechtsanwaltskammer Batman, Erkan Şenses, hinzu, der zum Verteidigungsteam von Demirel gehört. „Bakur“ sei ein Kunstwerk, das weder Terror befürwortet noch Gewalt rechtfertigt. „Im Gegenteil. Der Film ist ein Anstoß, über die Notwendigkeit von Frieden nachzudenken und sich kritisch mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen“, betonte der Jurist und verwies auf die europäische Rechtsprechung zum Schutz auf die durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte künstlerische Ausdrucksfreiheit. „Solche Eingriffe, wie wir sie durch diesen Prozess erleben, schaffen eine abschreckende Wirkung bei Kunstschaffenden und führen zur Selbstzensur. Von Terrorpropaganda im Zusammenhang mit Bakur – eine Dokumentation, die während eines Friedensprozesses gedreht worden ist – kann nicht die Rede sein.“


Die ANF-Redaktion empfiehlt an dieser Stelle die Filmkritik des Magazins marx21: „Bakur“: Grundsatzdiskussionen im Kampfgebiet der PKK