Massive Überbelegung in türkischen Gefängnissen
In der Türkei befinden sich derzeit 350.670 Menschen in Haft. Damit sind die Gefängnisse durchschnittlich zu 18 Prozent überbelegt.
In der Türkei befinden sich derzeit 350.670 Menschen in Haft. Damit sind die Gefängnisse durchschnittlich zu 18 Prozent überbelegt.
Laut Daten von Statista befanden sich im Juni in der Türkei von 100.000 Einwohner:innen 392 in Haft. Damit befindet sich die Türkei weltweit vorne auf der Liste der Länder mit den meisten Gefangenen pro Einwohner:innen. Im Jahr 2022 ist trotz einer massiven Entlassungswelle von Strafgefangenen die Haftpopulation um 9,2 Prozent gestiegen, im Jahr 2023 um weitere 15 Prozent. Während viele wegen Gewaltdelikten und anderen Straftaten verurteilte Personen aufgrund einer Justizreform freikamen, wurden politische Gefangene ausgenommen. Gleichzeitig fanden massive Verhaftungswellen statt. In den im Europarat vertretenen Ländern führt die Türkei die Länder mit der größten Haftpopulation sowohl numerisch mit 350.670 Gefangenen, als auch in der Pro-Kopf-Berechnung an. So sind in Deutschland 2022 69 Personen pro 100.000 Einwohner:innen inhaftiert gewesen. Selbst rechtsextreme Regime wie in Ungarn lagen bei 150 bis 200 Gefangenen pro 100.000 Einwohner:innen.
Die aktuell veröffentlichen Zahlen des Zivilgesellschaftlichen Vereins zum Strafvollzugssystem (CISST) für die Türkei sehen wie folgt aus: In der Türkei sind 350.670 Personen in 403 Gefängnissen mit einer Gesamtkapazität von 295.328 Personen inhaftiert. Damit ist die Kapazität der Gefängnisse um 18,74 Prozent überschritten worden und das, obwohl das AKP/MHP-Regime immer neue Haftanstalten baut. Bereits eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent gilt im Strafvollzug als Vollbelegung, da Gefangene unter Umständen gesondert untergebracht werden müssen. 118 Prozent stellt eine extreme Überbelegung dar. Im ANF-Gespräch sagte Ferdi Yamar, ein Anwalt aus der Juristenvereinigung ÖHD, dass die Bedingungen in den Gefängnissen dadurch jeden Tag schlimmer werden.
Grundrechte werden ignoriert
Yamar führte aus: „Es ist sehr schwierig, die minimalen und menschlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, die die Gefangenen lesen können, werden trotz der Entscheidungen des Verfassungsgerichts seit vielen Jahren blockiert. Die Entwicklung des sozialen und individuellen Lebens wird durch willkürliche, ungerechtfertigte und widersprüchliche Entscheidungen nicht zugelassen.“
Wettbewerb zwischen Richtern und Bauunternehmen
Der Anwalt sagte, die Türkei habe sich in ein offenes Gefängnis verwandelt. Überall im Land würden neue Gefängnisse gebaut. Yamar erklärte: „Es ist bekannt, dass viele der Gefängnisse, die in jüngster Zeit eröffnet wurden, in kürzester Zeit viel mehr Gefangene aufgenommen haben, als sie Kapazitäten haben, und dass es ständig zu Verlegungen kommt. Es besteht ein regelrechter Wettlauf zwischen Bauunternehmern und Richtern.“
Gefangene schlafen auf dem Boden
Yamar wies darauf hin, dass diese Überbelegungen durch willkürliche Verhaftungen verursacht werden und die Bedingungen für die Gefangenen dementsprechend schwieriger würden: „Es ist bekannt, dass in vielen Gefängnissen sogar in Gemeinschaftsräumen Stockbetten aufgestellt werden und viele Gefangene auf dem Boden oder in Schichten schlafen müssen, z.B. einer schläft nachts und einer tagsüber. Probleme mit Hygiene, Ernährung, Infektionskrankheiten usw. sind unter den Gefangenen, die in massiv überfüllten Zellentrakten untergebracht sind, weit verbreitet. In einem System, das sich von Tag zu Tag weiter vom Gesetz entfernt, können wir eindeutig feststellen, dass lange ungerechtfertigte Ermittlungsverfahren und Verfolgung sowie willkürliche Verhaftungen zur Staatspolitik geworden sind.“