IHD stellt Bericht über staatliche Informantenanwerbung vor

Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD sind in diesem Jahr 160 Fälle bekannt geworden, in denen der Staat mit dubiosen Methoden Oppositionelle als Informanten anwerben wollte und unter Druck gesetzt hat.

Der Menschenrechtsverein IHD hat in Ankara einen Sonderbericht zu den in der Türkei praktizierten Methoden der staatlichen Informantenanwerbung und Einschüchterung von Oppositionellen vorgestellt. Der Bericht umfasst die in den ersten zehn Monaten dieses Jahres bekannt gewordenen Fälle, in denen die Betroffenen unter Druck gesetzt, bedroht und teilweise verschleppt worden sind.

Nach Angaben des IHD-Vorsitzenden Öztürk Türkdoğan hat sich in den letzten drei Jahren der Bedarf für eine gesonderte Recherche zu diesem Thema gezeigt. Im Berichtszeitraum sind160 Fälle festgestellt worden, bei denen Betroffene gegen ihren Willen und mit brutalen Methoden zur Spitzeltätigkeit gezwungen oder eingeschüchtert werden sollten. Auf der Pressekonferenz in der IHD-Zentrale zeigte Türkdoğan sich fassungslos angesichts dieser Dimension: „Die Zahlen umfassen nur die von uns festgestellten Fälle. Wie ist die Türkei in einen solchen Zustand geraten? Und warum schweigt das Parlament dazu?“

Der Menschenrechtler wies darauf hin, dass sogar in der Hauptstadt Ankara Menschen auf offener Straße verschleppt werden: „Woher nehmen die Täter ihren Mut? Es ist die Aufgabe der Justiz, gegen Straftäter zu ermitteln, und was unternehmen die Staatsanwaltschaften der Republik? Ihre Aufgabe ist es nicht, Ermittlungsverfahren gegen Regierungskritiker zu führen.“ Von den Entführungen und Anwerbeversuchen seien inzwischen sogar Schüler und Journalisten betroffen. Jeder, der festgenommen werde, werde massiv zur Zusammenarbeit mit Polizei oder Nachrichtendienst gedrängt.

Türkdoğan kündigte an, den Bericht den UN und anderen internationalen Einrichtungen vorzulegen. Der IHD fordert das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) zur Inspektion dieser Fälle in der Türkei auf.

160 Fälle von versuchter Agentenrekrutierung

Laut dem Bericht haben sich in diesem Jahr sechs Betroffene an die IHD-Zentrale gewandt. In der Istanbuler Zweigstelle gab es elf Anträge, in Amed (türk. Diyarbakir) fünf, in Izmir 14, in Ankara fünf, in Mersin einen und in Wan drei. Die Dokumentationsgruppe des IHD hat zehn Fälle festgestellt, bei denen Personen verschleppt und bedroht wurden, um sie als Spitzel zu rekrutieren. Alle Betroffenen wurden ohne offizielle Vermerke über den Vorgang wieder freigelassen.

72 Personen sind laut Bericht nach der Festnahme oder unabhängig davon einem Spitzelanwerbeversuch und Drohungen ausgesetzt werden. In vier Fällen wurde Gefangenen von Staatsanwälten oder dem Sicherheitspersonal eine Agententätigkeit angeboten. 29 Personen wurden in sozialen Netzwerken bedroht.