Seit hundert Tagen findet in der Türkei ein Hungerstreik politischer Gefangener gegen die Isolation Abdullah Öcalans und die Rechtsverletzungen in türkischen Haftanstalten statt. Esin Çelik ist Ko-Vorsitzende des Gefangenenhilfsvereins MATUHAY-DER in der Marmara-Region und hat sich gegenüber ANF zum Stand des Hungerstreiks geäußert.
Çelik betont als erstes, dass es keine guten Nachrichten aus den Gefängnissen gibt. Seit 2018 finden immer wieder Hungerstreiks statt, dadurch sind die Gefangenen körperlich geschwächt. Ohnehin haben viele Gefangene aufgrund der Haftbedingungen bleibende Schäden erlitten und ihr Gesundheitszustand wird zunehmend schlechter. Da sich die Isolation auf Imrali auf alle Gefängnisse ausgebreitet hat, ist am 27. November ein weiterer Hungerstreik gestartet worden.
Gefangene werden nach Vollendung der Strafe nicht freigelassen
Seitdem ist die Repression in den Haftanstalten weiter verschärft worden, hält Esin Çelik fest. Die AKP/MHP-Regierung ignoriert die Aufrufe, dass es keine weiteren Toten im Gefängnis geben soll. Es werden ununterbrochen willkürlich Disziplinar- und Bunkerstrafen verhängt, die dazu führen, dass Gefangene auch nach dem Absitzen ihrer eigentlichen Strafe nicht freigelassen werden. Laut Çelik ist in der Marmara-Region vor allem die Vollzugsanstalt Düzce von massiven Rechtsverletzungen betroffen. Die Gefangenen seien angegriffen, misshandelt und mit willkürlichen Strafmaßnahmen überzogen worden.
Coronainfektionen im Frauengefängnis Gebze
Im Frauengefängnis in Gebze sollen sich zehn Gefangene mit dem Coronavirus infiziert haben. Esin Çelik geht davon aus, dass bewusst keine Präventionsmaßnahmen gegen die Pandemie getroffen werden. Wegen COVID-19 können keine Besuche von Angehörigen stattfinden, gleichzeitig werden jedoch insbesondere seit Beginn des Hungerstreiks ständig die Zellen vom Wachpersonal überfallen und durchsucht. „Der einzige Kontakt nach draußen besteht über die Soldaten und Wachleute. Wie wir gehört haben, sind zehn Frauen in Gebze nach einer Durchsuchung ohne Maske und Handschuhe infiziert worden“, erzählt Çelik. Wie es den Frauen geht und ob sie medizinisch behandelt werden, ist unbekannt. Weder Angehörige noch Anwält*innen wurden darüber informiert.
„Das Recht gilt auch für Abdullah Öcalan“
Esen Çelik sagt, dass die Forderung des Hungerstreiks legitim ist: „Herr Öcalan hat das Recht auf Kontakt zu Angehörigen und seinem Rechtsbeistand. Kein Mensch sollte seine Gesundheit gefährden oder sterben müssen, damit dieses Recht umgesetzt wird. Es gilt für alle und somit auch für Herrn Öcalan. Die Isolation muss unverzüglich aufgehoben werden. Die Rechtsverletzungen müssen ein Ende finden, Gefangene dürfen nicht in Handschellen medizinisch behandelt werden.“
Drohende Verschärfung des Hungerstreiks
Gefangene hätten über ihre Familien ausrichten lassen, dass die Form des Hungerstreiks verschärft wird, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Bisher findet die Aktion gruppenweise im Wechsel statt. „Wir wollen nicht noch mehr Tote in den Gefängnissen“, sagt Çelik und fordert Menschenrechtseinrichtungen und demokratische Massenorganisationen zum dringenden Handeln auf. Zu dem von Staatspräsident Tayyip Erdogan angekündigten „Menschenrechtsaktionsplan“ erklärt Esin Çelik: „Ein solcher Plan muss zuallererst in den Gefängnissen umgesetzt werden. Die Isolation muss ausgesetzt und die Rechtsverletzungen beendet werden.“