Am vergangenen Samstag rettete die zehnte Crew des deutschen Rettungsschiffes Alan Kurdi insgesamt 78 Menschenleben von zwei hochseeuntauglichen Booten. Vier Tage später evakuierte die maltesische Armee die Geretteten auf See. Noch am Sonntag lehnten die maltesischen Behörden die Ausschiffung der Geretteten ab. So sei Malta weder zuständig, noch habe man weitere Kapazitäten, um aus Seenot gerettete Schutzsuchende aufzunehmen. Es gäbe eine Einigung mit anderen EU-Mitgliedsstaaten. Deshalb solle sich das Schiff an den nächsten Küstenstaat wenden.
Trotz des schlechten Wetters und der gefährlichen Fluchtbedingungen fliehen in diesen Tagen besonders viele Menschen aus Libyen. Hilfsorganisationen wie Sea-Eye retteten in den vergangenen Tagen rund 800 Menschen. Der UNHCR erklärte schon vor einer Woche, dass die Lage in Libyen „außer Kontrolle" geraten sei und man nicht einmal mehr „minimale Sicherheitsstandards für Flüchtlinge" zu garantieren vermöge. Der Versuch, die europäische Marinemission „Sophia" wiederzubeleben, scheiterte an den Regierungen von Österreich und Italien.
Auf der Alan Kurdi mussten 78 Gerettete aus 20 unterschiedlichen Herkunftsländern auf die Zuweisung eines sicheren Ausschiffungshafens warten. Einige der Geretteten berichteten, drei Tage unterwegs gewesen zu sein und das Bouri Oilfield durchquert zu haben. Dabei hätte auch ein Frachtschiff ihren Kurs gekreuzt und sei ihnen ausgewichen. Die Geretteten des zweiten Bootes berichteten einem Sea-Eye-Menschenrechtsbeobachter, Todesangst gehabt zu haben, als ihr Boot von mehreren Haien umkreist worden sei.
Als Einsatzleiterin Johanna Pohl die Geretteten am Dienstagabend informierte, dass die Menschen von einem maltesischen Militärschiff abgeholt werden würden, um nach Malta übernommen zu werden, äußerten viele Schutzsuchende große Ängste, zurück nach Libyen gebracht zu werden. Nur mit großer Anstrengung konnte die Crew die Menschen beruhigen und glaubhaft vermitteln, dass dies nicht der Grund dafür sei, dass Malta die Alan Kurdi nicht anlegen lässt.
Die Alan Kurdi hat nun Kurs auf den spanischen Hafen von Burriana gesetzt. Dort wird das 70 Jahre alte Rettungsschiff einer planmäßigen Wartung unterzogen. Zuletzt war die Alan Kurdi im Mai im Trockendock. Seither absolvierte das Schiff sieben weitere Missionen. Keine einzige Mission verlief ohne eine oder mehrere Rettungen. „Diese vielen schweren Stunden werden wir nie vergessen. Nun muss es uns gelingen, bis zu 120.000 Euro für die Wartungen und den Austausch von zwei Generatoren zu sammeln. Wir hoffen, dass wir Mitte März in die elfte Mission starten können", sagt Gorden Isler als Vorsitzender von Sea-Eye e.V. Die Regensburger Seenotretter sind dann für den Rest des Jahres einsatzfähig.
Sea-Eye e.V. rettet in über 60 Missionen Tausende Menschenleben
Der Verein Sea-Eye e.V. wurde 2015 in Regensburg gegründet. Mit den umgerüsteten Fischkuttern „Sea-Eye" und „Seefuchs" beteiligten sich mehr als 800 ehrenamtliche Rettungskräfte, in über 60 Missionen, unter niederländischer Flagge an der Rettung von 14.906 Menschen. Im Sommer 2018 entschied die Vereinsführung ein neues Schiff unter deutscher Flagge in den Einsatz zu senden. Die Alan Kurdi war das erste Schiff einer Hilfsorganisation unter der Bundesflagge. Ihr Einsatz rettete bis heute 538 Menschen das Leben.
Alan Kurdi
Alan Kurdi, dessen Leichnam nach Ertrinken an der türkischen Küstenstadt Bodrum angeschwemmt wurde, wurde 2015 zum Symbol der Flüchtlingskrise. Seine Familie stammt aus Kobanê in Nordsyrien/Westkurdistan. Als sich der Bürgerkrieg in Syrien intensivierte, siedelte der Vater Abdullah Kurdi allein in die Türkei über und arbeitete in Istanbul zwei Jahre in der Textilindustrie. Als die Bombardierung von Kobanê begann, holte er seine Familie nach. Nachdem Bemühungen einer in Vancouver lebenden Tante des Jungen, eine legale Überführung nach Kanada zu organisieren, fehlgeschlagen waren, entschied sich die Familie, mithilfe von Schleppern die griechische Insel Kos zu erreichen. Bei dem Versuch, das Mittelmeer auf einem Schlepperboot zu überqueren, kenterte das Boot im hohen Wellengang. Neben Alan ertranken auch sein fünfjähriger Bruder Galip, seine Mutter Rehan und neun weitere Menschen. Neun Menschen konnten gerettet werden, von der Familie Kurdi überlebte nur der Vater Abdullah.