„Die Isolation hat den Esstisch erreicht“
Seit 42 Monaten gibt es kein Lebenszeichen mehr von dem auf der Gefängnisinsel Imrali isolierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Die Isolation von Imrali hat sich in einer Verschärfung der Repression auf alle Gefängnisse und die Gesellschaft ausgedehnt. Die Gefangenen leisten als Teil der weltweiten Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ mit verschiedenen Aktionsformen Widerstand, darunter eine Zeitlang mit einem Kommunikationsboykott. Die Gefangenen hatten ihre Hungerstreikstaffel am 4. April in diese neue Aktionsform umgewandelt und verweigerten seitdem jede Kommunikation mit Behörden, Angehörigen oder Gerichten. Am 3. Juli wurde diese Aktion beendet. Ziel war es, die Öffentlichkeit für die Isolation zu sensibilisieren. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) sprach mit dem politischen Gefangenen Celalettin Yalçın über die Entwicklung der Aktionen im Gefängnis.
Celalettin Yalçın ist unter konstruierten „Terrorvorwürfen“ in Haft
„Die kurdische Frage ist untrennbar mit der Isolation auf Imrali verbunden“
Der Journalist Yalçın befindet sich seit dem 9. November 2023 im Marmara-Gefängnis unter konstruierten „Terrorvorwürfen“ in Haft. Der Gefangene erklärte, dass viele Entwicklungen, insbesondere der zwischen 2013 und 2015 eingeleitete „Lösungsprozess“, bewiesen hätten, dass der Ansprechpartner für eine Lösung der kurdischen Frage der PKK-Begründer Abdullah Öcalan sei. Yalçın betonte, dass die Isolation Öcalans die kurdische Frage unlösbar mache, und fuhr fort: „Die kurdische Frage ist das größte Hindernis für eine Demokratisierung der Türkei. Ihre Lösung hängt davon ab, ob die Isolation durchbrochen wird. Wir als Gefangene können dieser Situation nicht tatenlos gegenüberstehen, deshalb haben wir eine solche Aktion gestartet, um auf die Isolation, die sich bis in die Gesellschaft ausgebreitet hat, aufmerksam zu machen und unsere Aufgabe und Verantwortung zu erfüllen.“
„Unser Grundproblem ist die kurdische Frage“
Yalçın weiter: „Zweifellos haben die Gefangenen immer sensibel auf die Entwicklungen draußen reagiert. Denn das, was draußen geschieht, spiegelt sich direkt in den Gefängnissen wider. Auch wenn wir uns innerhalb von vier Mauern befinden, ist unser Hauptproblem die kurdische Frage. Wir diskutieren jede Minute des Tages über die aktuellen Entwicklungen und setzen unseren Kampf ununterbrochen in diesem Sinne fort. Aus diesem Grund sind wir mit unseren Aktionen in den Gefängnissen auch an den politischen Entwicklungen draußen beteiligt.“
„Es ging darum, die Öffentlichkeit für die Isolation zu sensibilisieren“
Yalçın beschrieb die Gefängnisse als Widerstandsgebiete und verwies auf die Hungerstreiks und den Kommunikationsboykott, der am 3. Juli endete: „Nach dem Hungerstreik setzten wir unsere Aktion durch den Kommunikationsboykott fort. Natürlich wurden dadurch alle unsere Verbindungen zur Außenwelt abgebrochen. Da es sich jedoch um eine Aktion handelte, die wir aus eigenem Antrieb durchführten, gab es keine ernsthaften Probleme. Unser Ziel war es, die gesamte Öffentlichkeit, insbesondere unsere Familien, für die weltweit beispiellose Isolation zu sensibilisieren.“
„Die Aktionen gehen weiter“
Yalçın bekräftigte, dass die Aktionen in den Gefängnissen weitergehen werden, solange die Isolation andauere: „Der Kampf draußen ist für uns die größte Quelle der Moral. Solange die Isolation jedoch nicht durchbrochen wird, können wir feststellen, dass unsere Aktionen unzureichend sind. Aus diesem Grund müssen wir unsere demokratischen Aktionen ununterbrochen mit verschiedenen Mitteln und Methoden fortsetzen. Die anzuwendenden Mittel und Methoden müssen erschüttern und massiven Druck erzeugen. Pressemitteilungen, insbesondere solche, die in einem Gebäude abgehalten werden, bringen leider keine Ergebnisse. Sie schaffen auch keinen ernsthaften öffentlichen Diskurs. Deshalb müssen wir die Isolation und die kurdische Frage immer thematisieren, indem wir von Haus zu Haus, von Tür zu Tür gehen. In einer Zeit, in der die Presse so sehr eingeengt und vereinheitlicht wurde, ist es notwendig, den direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit herzustellen.“
„Die Isolation hat den Esstisch erreicht“
Yalçın betonte, dass alle in der Türkei lebenden Bevölkerungsgruppen sensibel gegenüber Isolation sein sollten: „Denn Isolation ist ein Eingriff in jeden Aspekt unseres Lebens. Isolation bedeutet Krieg. Tatsache ist, dass immer dann, wenn die Tore von Imralı geschlossen werden, der Krieg in der Türkei und in Kurdistan eskaliert. Krieg bedeutet Wirtschaftskrise. Der Grund für die jüngsten sukzessiven Preissteigerungen und den Kaufkraftverlust ist zweifellos der anhaltende Krieg. Aus diesem Grund wäre es angemessen zu sagen: ‚Die Isolation liegt auf unserem Esstisch.‘ Alle sollten sensibel reagieren und der Isolation ein Ende setzen. Wir sollten nicht vergessen, dass Isolation Krieg, Armut, Tod und viele andere Probleme mit sich bringt. Ein weiterer Appell von uns betrifft die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen.“
Rechtsverletzungen in den Gefängnissen grassieren
Yalçın forderte Aufmerksamkeit für die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen und sagte: „Die absolute Isolation auf Imrali hat sich auf alle Gefängnisse in der Türkei und in Kurdistan ausgeweitet, und nicht einmal ein Prozent unserer Rechte wird gewährt. Selbst der Himmel über dem Hof ist mit Drähten versperrt. Diese Situation ist fast so, als würde man sagen: ‚Es ist verboten, in den Himmel zu schauen.‘ Auch unsere kulturellen und sozialen Rechte sind völlig außer Kraft gesetzt worden. Von den Behörden, an die wir uns in dieser Angelegenheit gewandt haben, erhalten wir keine Antwort. Aus diesem Grund rufen wir alle dazu auf, wachsam und sensibel gegenüber den Rechtsverletzungen in den Gefängnissen zu sein.“