Gedenken an Tahir Elçi in Istanbul

Vor dem Justizpalast Bakırköy haben Anwältinnen und Anwälte an den vor fünf Jahren in Amed erschossenen kurdischen Menschenrechtler Tahir Elçi gedacht.

Fünf Jahre nach den tödlichen Schüssen auf Tahir Elçi haben zahlreiche Anwaltsvereinigungen und juristische Organisationen in Istanbul an den kurdischen Menschenrechtsanwalt erinnert. Die Gedenkveranstaltung fand vor dem Justizpalast Bakırköy statt, dem Ort, an dem gegen Elçi nur wenige Wochen vor dem Attentat wegen Terrorvorwürfen verhandelt wurde. Der ehemalige Präsident der Rechtsanwaltskammer Amed hatte im Oktober 2015 in einer politischen Diskussionsrunde des Senders CNN Türk erklärt: „Auch wenn manche Aktionen der PKK Terrorcharakter haben, ist die PKK keine Terrororganisation, sondern eine bewaffnete politische Bewegung, deren politische Forderungen eine große Unterstützung in der Bevölkerung genießen.“ Während solche Äußerungen auch von Politikern der AKP in der Phase des Waffenstillstandes konsequenzlos getätigt wurden, wurde Elçi kurz darauf festgenommen und nur unter Auflagen wieder entlassen. Am 28. November wurde er während einer Pressekonferenz im Altstadtbezirk Sûr gezielt von einem Polizisten erschossen. Unmittelbar vor seinem Tod warb Tahir Elçi vor Journalisten für Frieden in der Region: „In diesem Gebiet, das Heimat so vieler Zivilisationen war, wollen wir keine Schüsse, keine Gewalt und keine Operationen“, sagte er, dann fielen Schüsse. Er wurde von einem Geschoss in den Kopf getroffen und verstarb vor Ort. Zu der Zeit galten in etlichen kurdischen Städten im Zuge der Militärbelagerung Ausgangssperren. Viele Orte wurden in der Folge regelrecht dem Erdboden gleichgemacht.

Staatlich orchestrierte Lynchkampagne kurz vor Attentat

An der heutigen Kundgebung beteiligten sich neben etlichen Kolleginnen und Kollegen Tahir Elçis auch zahlreiche Parlamentsabgeordnete. Nach einer Schweigeminute für die Gefallenen des Kampfes um Demokratie hielt Eylem Arzu Kayaoğlu als Ko-Vorsitzende des Freiheitlichen Juristenvereins ÖHD eine Ansprache, in der sie auf die politische Dimension des Elçi-Attentats hinwies. Kayaoğlu erinnerte an die Repression, die der engagierte Jurist die letzten Wochen vor seinem Tod als Ergebnis einer vom türkischen Staat, den AKP-nahen Medien und den Ermittlungsbehörden angestachelten Lynchkampagne infolge seiner Äußerungen über die PKK zu spüren bekam. Nur wenige Tage nach der Sendung war Anklage gegen Elçi wegen dem Vorwurf der „Werbung für eine terroristische Vereinigung” mit einer Haftandrohung von siebeneinhalb Jahren erhoben worden. Parallel wurde Elçi durch die AKP und ihren Pool-Medien zur öffentlichen Zielscheibe. Auch Morddrohungen wurden gegen ihn ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund war schnell klar, dass es sich entgegen der Behauptung des Innenministeriums, Elçi sei von der Kugel eines PKK-Kämpfers getroffen worden, die eigentlich den anwesenden Polizeibeamten galt, um ein gezieltes Attentat gegen den Menschenrechtler handelte. Auch ein Bericht von Forensic Architecture weist nach, dass gezielt auf Elçi geschossen wurde.

Prozess gegen Polizisten eine Farce

„Tahir Elçi war zeit seines Lebens ein engagierter Verfechter der Menschenrechte und setzte sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ein. Der türkische Staat hat von Anfang an jede unabhängige Aufklärung des Mordes an ihm verhindert”, sagte Kayaoğlu. Die Juristin nannte den Prozess gegen drei Polizisten eine Farce und wies darauf hin, dass der Familie von Elçi vor Gericht all ihre Rechte verwehrt werden. Das Verfahren gegen die Angeklagten war erst im Oktober dieses Jahres eröffnet worden. Nach einem Ablehnungsgesuch gegen die Richter durch die Familie des Opfers wurde die Verhandlung auf März 2021 vertagt.

Wir wollen Frieden

„Wir fordern Aufklärung, ein faires Verfahren und eine freie Berufsausübung“, sagte Kayaoğlu und wies auf die systematische Repression der letzten fünf Jahre gegen ihren Berufsstand hin. „Wir werden da weitermachen, wo Tahir Elçi bedingt durch seinen gewaltsamen Tod aufhören musste. Der Kampf für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit wird weitergehen. Wir als Juristinnen und Juristen stellen uns jeglichen Angriffen gegen Einschränkungen der Grundrechte und Freiheitsrechte. Wir vertreten alle Menschen, die von staatlicher Repression betroffen sind, ganz gleich, welcher Herkunft sie sind. Wir kämpfen für einen Rechtsstaat, für die Unabhängigkeit der Justiz und für die Gewaltenteilung. Wir wollen Frieden, nicht Krieg.“