Erdbebengebiet: Foltervorwürfe gegen türkische Polizei und Armee

Amnesty International hat gemeinsam mit Human Rights Watch 34 Opfer befragt und Videomaterial gesichtet. Ein Mensch sei in Gewahrsam gestorben.

Nach den verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei hat es nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen schwere Fälle von Folter und Missbrauch gegeben. Einsatzkräfte von Polizei und Armee hätten Menschen wegen des Verdachts auf Diebstahl und Plünderung geschlagen und misshandelt, der von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verhängte Ausnahmezustand sei als „Lizenz zum Foltern“ genutzt worden. Das teilten Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) am Mittwoch in einem gemeinsamen Bericht mit.  

Dafür waren 34 Männer befragt worden, zudem hatten die Organisationen Videomaterial zu 13 Fällen von Gewalt durch Polizei, Gendarmerie und Soldaten gesichtet. Ein Mensch sei in Gewahrsam gestorben, nachdem er gefoltert worden sei, heißt es in dem Report.

Sicherheitskräfte nutzen Macht aus

„Die Berichte und Bilder von mutwilliger Gewalt durch Ordnungskräfte sind erschütternd“, sagte Amke Dietert, Türkei-Expertin bei Amnesty International Deutschland. „Die türkischen Behörden müssen unverzüglich strafrechtliche Ermittlungen zu allen Fällen von Folter und anderen Misshandlungen einleiten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“, forderte sie. Die Sicherheitskräfte würden ihre Macht ausnutzen. Der HRW-Direktor für Europa und Zentralasien, Hugh Williamson, sprach von glaubwürdigen und schockierenden Berichten über Mitglieder der Polizei und Armee, die Menschen „brutal und über längere Zeit verprügelt“ und willkürlich festgehalten hätten.

Die meisten Fälle in Hatay dokumentiert

Unter den Befragten befanden sich den Menschenrechtsorganisationen zufolge zwölf Opfer von Folter und anderen Misshandlungen sowie zwei Männer, die von Polizeiangehörigen mit der Waffe bedroht worden seien. Besonders oft wurden Misshandlungen in der Stadt Antakya in der Provinz Hatay dokumentiert. Die meisten Befragten gaben an, nicht offiziell festgenommen, sondern unmittelbar geschlagen, getreten, geohrfeigt oder beschimpft worden zu sein. In vier Fällen handelte es sich demnach bei den Betroffenen um syrische Geflüchtete, es gebe dabei Hinweise auf rassistische Motive.

Türkei weist Vorwürfe zurück

Schon vor der Veröffentlichung des Berichts hatte das türkische Justizministerium mitgeteilt, Ankara verfolge bei Folter eine „Nulltoleranz-Politik“. Die genauen Ergebnisse der Untersuchungen seien dann von der Regierung pauschal zurückgewiesen worden, ohne dass auf die Einzelheiten des Berichts eingegangen worden sei, erklärten die Menschenrechtsorganisationen.

Zehntausende Todesopfer

Bei den Erdbeben am 6. Februar mit einer Stärke von bis zu 7,8 waren nach Behördenangaben mehr als 50.000 Menschen in der Türkei und fast 6.000 Menschen in Syrien ums Leben gekommen – die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von mehr als 8.000 Todesopfern. Hunderttausende Menschen in beiden Ländern wurden obdachlos.