Nuray Çevirmen, Vorstandsmitglied des Menschenrechtsvereins IHD, hat sich gegenüber ANF zu den Rechtsverletzungen und der Ausbreitung der Corona-Pandemie in den Gefängnissen der Türkei geäußert. Den Menschenrechtsverein erreichen in der letzten Zeit besonders viele Unterstützungsanfragen aus Haftanstalten und von Angehörigen von Gefangenen. In Kırşehir sind politische Gefangene seit Monaten im Hungerstreik. Laut Nuray Çevirmen sind die Angehörigen in großer Sorge. Die Gefangenen sollten zu einem militärischen Zählappell gezwungen werden und setzten sich zur Wehr, berichtet die Menschenrechtlerin: „Daraufhin wurden sie in Einzelzellen isoliert. Gegen diese Rechtsverletzungen befinden sie sich seit 122 Tagen im Hungerstreik. Am Dienstag sind vier Gefangene gegen ihren Willen nach Kayseri und Tarsus verlegt worden. Beim Transport wurden sie geschlagen und nackt durchsucht. Wir haben die Vollzugsleitung in Kırşehir zwei Mal vergeblich zu einem Gespräch aufgefordert. Nur mit dem zuständigen Staatsanwalt konnten wir kurz sprechen, aber er hat auf keine Frage geantwortet.“
Pandemie breitet sich aus
Die Corona-Pandemie hat nach Angaben von Nuray Çevirmen eine ernste Dimension in den Gefängnissen erreicht. Die zuständigen Behörden erteilen jedoch keine Auskunft über das wirkliche Ausmaß. „Vergangene Woche haben wir erfahren, dass Gefangene im offenen Vollzug in Erzurum positiv getestet wurden. Wir wissen auch von Infektionsfällen in Antep, Silivri, Konya und Sincan. Es gibt keine offiziellen Angaben, aber es trotzdem eindeutig, dass sich die Pandemie verbreitet. Wir schreiben in so gut wie allen Fällen, die an uns herangetragen werden, das Justizministerium und die Vollzugsbehörden an, aber es ist nicht möglich, Informationen zu bekommen.“
Isolation ist keine Lösung
Nuray Çevirmen widerspricht der Behauptung, dass die Isolationshaft eine sinnvolle Maßnahme gegen die Pandemie ist: „Die Vereinzelung und Isolation der Gefangenen sowie das Verbot von sozialen und sportlichen Aktivitäten führen zu weiteren Problemen. Es handelt sich um Menschen, die keine Verbindung zum Leben draußen haben und denen die Freiheit genommen wird. Wenn sie in dieser Situation noch zusätzlich isoliert werden, werden ihre Rechte verletzt. Das könnte über andere Maßnahmen verhindert werden. Es gibt immer noch Gefängnisse, in denen kein Mund-Nasen-Schutz ausgegeben wird. Die Zellen werden nicht desinfiziert und die Gefangenen bekommen lediglich ein Stück Seife. Die Menschen innerhalb der Gefängnisse zu isolieren, ist keine Lösung.“
Die Situation kranker Gefangener
Die Situation ist vor allem für kranke Gefangene schwer. Nuray Çevirmen macht darauf aufmerksam, dass alle Gefangenen beim Neuzugang zunächst zwei Wochen in Quarantäne gehalten werden. Das gilt auch nach einem externen Arztbesuch im Krankenhaus: „Es gibt jedoch Schwerkranke, die sich allein nicht selbst versorgen können. Das wird überhaupt nicht berücksichtigt. Viele Kranke lehnen daher eine Krankenhausbehandlung ab. Ihre gesundheitliche Situation wird sich zunehmend verschlechtern. Die Probleme in den Gefängnissen werden nicht weniger, sondern mehr. Die Angehörigen leben daher unter ständiger Anspannung.“