Bis zu 130 Schutzsuchende vor libyscher Küste ertrunken

Ein ziviles Rettungsschiff hat zehn Leichen in der Nähe eines vor der libyschen Küste gekenterten Schlauchboots entdeckt, das zuvor etwa 130 Menschen an Bord hatte.

Hilfsorganisationen und die UN-Agentur IOM sprechen von bis zu 130 bei einer Havarie vor der libyschen Küste ertrunkenen Schutzsuchenden. Das Boot scheint bei stürmischem Wetter auf seiner Überfahrt in Richtung Europa gekentert zu sein.

Laut einer ersten Rekonstruktion der Ereignisse wurde die europäische Hilfsorganisation SOS Méditerranée am Dienstag durch die zivile Rettungshotline Alarm Phone auf drei Boote in Seenot in internationalen Gewässern vor Libyen aufmerksam gemacht. Die Wellen in dem Gebiet erreichten eine Höhe von bis zu sechs Metern. Das Schiff von SOS Méditerranée, die Ocean Viking, sowie mehrere Handelsschiffe steuerten das Gebiet an und fanden keine Überlebenden. Stattdessen wurden mindestens zehn Leichen gefunden.

Luisa Albera, Koordinatorin der Rettungsoperationen an Bord der Ocean Viking, berichtet: „Heute, nach stundenlanger Suche, ist unsere schlimmste Befürchtung wahr geworden. Die Crew der Ocean Viking musste die verheerenden Folgen des Schiffbruchs eines Gummibootes nordöstlich von Tripolis miterleben. Dieses Boot war am Mittwochmorgen mit rund 130 Menschen an Bord als in Seenot gemeldet worden.“

Keine staatliche Koordinierung

Die drei Boote waren etwa zehn Stunden vom Rettungsschiff entfernt in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste getrieben. Albera beschreibt die Suche: „Wir suchten nach zwei dieser Boote, eines nach dem anderen, in einem Rennen gegen die Zeit und bei sehr rauer See mit bis zu sechs Meter hohen Wellen. In Ermangelung einer effektiven Koordinierung unter staatlicher Leitung arbeiteten drei Handelsschiffe und die Ocean Viking zusammen, um die Suche unter extrem schwierigen Seebedingungen zu organisieren.“

Keine Überlebenden

Die vier Schiffe fanden nur noch Leichen vor. Ein FRONTEX-Flugzeug entdeckte das Wrack des gekenterten Schlauchbootes. Die NGO-Sprecherin Luisa Albera kommentiert: „Wir sind untröstlich. Wir denken an die Menschen, die ihr Leben verloren haben, und an die Familien, die vielleicht nie Gewissheit darüber haben werden, was mit ihren Angehörigen geschehen ist.“

Tote sind Ergebnis vorsätzlicher Untätigkeit der Staaten“

Die NGO klagt an: „Das ist die Realität im zentralen Mittelmeer: Mehr als 350 Menschen haben in diesem Jahr bereits ihr Leben in diesem Seegebiet verloren, nicht mitgezählt die Dutzenden, die bei dem Schiffsunglück, das wir heute erlebt haben, ums Leben gekommen sind. Die Staaten entziehen sich ihrer Verantwortung, Such- und Rettungsaktionen zu koordinieren, und überlassen es privaten Akteuren und der Zivilgesellschaft, die tödliche Lücke zu füllen, die sie hinterlassen. Das Ergebnis dieser vorsätzlichen Untätigkeit können wir in der See um unser Schiff herum sehen.“

Behörden lassen Menschen sterben

Auch Alarm-Phone macht den europäischen Staaten schwere Vorwürfe: „Die Menschen hätten gerettet werden können, aber die Behörden haben sie wissentlich dem Tod auf See überlassen.“ Die Initiative stand am 21. April über zehn Stunden in Kontakt mit dem in Seenot geratenen Boot und hatte wiederholt dessen GPS-Position und die akute Gefahr den europäischen und libyschen Behörden sowie der Öffentlichkeit mitgeteilt.

FRONTEX schaut beim Sterben aus der Luft zu

Obwohl Frontex das in Seenot geratene Boot vom Himmel ebenfalls sichtete, suchten nur nichtstaatliche Akteure aktiv nach dem in Seenot geratenen Boot. Alarm-Phone berichtet, alle europäischen Behörden lehnten die Verantwortung für die Koordinierung einer Such- und Rettungsaktion ab und verwiesen stattdessen auf die libyschen Behörden als die „Zuständigen“. Diese weigerten sich jedoch, etwas zu unternehmen und ließen die 130 Menschen auf rauer See im Stich.

Erst vergangene Woche waren nach UN-Berichten mindestens 41 Menschen, darunter ein Kind, gestorben, nachdem ein Boot mit Schutzsuchenden vor der tunesischen Küste gesunken war.