Sofortiger Besuch durch Antifolterkomitee CPT
Die Istanbuler Anwaltskanzlei Asrin hat einen Bericht zur Situation im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali vorgelegt. Dort ist der seit 1999 inhaftierte kurdische Vordenker Abdullah Öcalan gemeinsam mit drei weiteren Gefangenen – Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş – untergebracht. Der Bericht dokumentiert schwere Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte und richtet einen dringenden Appell an das Antifolterkomitee des Europarats (CPT).
52 Besuchsanträge unbeantwortet
Laut dem Bericht, der die Monate Dezember 2024 bis März 2025 umfasst, seien insgesamt 52 Anträge auf Anwalts- sowie Familienbesuche bei der Staatsanwaltschaft Bursa und der Gefängnisleitung gestellt worden – alle seien unbeantwortet geblieben. Besonders schwer wiegt, dass Öcalan in den letzten 14 Jahren nur fünfmal mit seinem Verteidigungsteam sprechen konnte; das letzte Gespräch datiert vom 7. August 2019. Auch familiäre Kontakte waren stark eingeschränkt. Seit einem einzigen Treffen mit seinem Neffen, dem DEM-Abgeordnetem Ömer Öcalan im vergangenen Oktober, habe es keine weiteren Familienbesuche gegeben.
Mitgefangene seit zehn Jahren ohne Anwaltskontakt
Noch gravierender ist die Situation der drei Mitgefangenen Konar, Yıldırım und Aktaş: Seit ihrer Verlegung nach Imrali im März 2015 sei keinem von ihnen ein einziger Anwaltsbesuch gestattet worden. Insgesamt seien nur vereinzelte Familienbesuche in zehn Jahren ermöglicht worden, der letzte im März 2020. Auch schriftliche Korrespondenz wurde laut dem Bericht blockiert – kein einziger der sechs im aktuellen Berichtszeitraum versandten Anwaltsbriefe habe nachweislich die Gefangenen erreicht, ebenso wenig sei Post von diesen bei der Kanzlei eingegangen. Telefongespräche seien seit dem 25. März 2021 vollständig untersagt.
Disziplinarstrafen als Vorwand
Die Kanzlei kritisiert ein „System regelmäßig erneuerter Disziplinarstrafen“, die jegliche Kontakte nach außen unterbinden. Selbst in Phasen ohne gültige Sanktion – etwa zwischen dem 5. Februar und dem 6. März – seien Besuchsanträge unbeantwortet geblieben. Asrin wertet dies als Ausdruck eines „rechtswidrigen und willkürlichen Systems“.
Rechtliche Schritte und Gang zur Verfassungsbeschwerde
Nachdem Anfang Februar eine neuerliche Disziplinarstrafe gegen die Imrali-Gefangenen verhängt und durch das zuständige Strafvollstreckungsgericht bestätigt – und die Beschwerde dagegen mittlerweile abgewiesen – wurde, kündigte die Kanzlei eine Individualbeschwerde beim türkischen Verfassungsgericht an. Die Disziplinarstrafen seien ohne Akteneinsicht und entgegen rechtlichen Standards ausgesprochen worden.
Friedensaufruf Öcalans und internationale Reaktionen
Ein zentrales Element des Berichts ist Abdullah Öcalans Aufruf für Frieden und eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, den er bei einem Treffen mit einer Delegation der DEM-Partei am 27. Februar äußerte. Der Appell „für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ habe laut Bericht sowohl im In- als auch im Ausland starke Resonanz ausgelöst. In zahlreichen Städten der Türkei und Nordkurdistan wie Amed (tr. Diyarbakır), Wan (Van) und Mersin sowie bei Newroz-Feierlichkeiten hätten zehntausende Menschen die Botschaft unterstützt. Auch internationale Beobachter:innen, darunter Intellektuelle, Menschenrechtsorganisationen und Medien, hätten die Erklärung als bedeutend eingestuft.
Appell an CPT: Sofortiger Besuch und Berichtsforderung
Asrin richtet mit dem Bericht eine formelle und dringende Aufforderung an das CPT, Imrali umgehend erneut zu besuchen. Seit der letzten Inspektion im September 2022 habe sich die Lage weiter verschärft. Das CPT habe seinen damaligen Bericht bislang nicht veröffentlicht – auch dessen Offenlegung wird nun gefordert.
„Öcalans Freiheit ist eine rechtliche Notwendigkeit“
Die Kanzlei verweist auf das Urteil „Öcalan 2“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), in dem das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ – das heißt eine reale Chance auf Freilassung trotz lebenslanger Haft – bestätigt wurde. Öcalan sei inzwischen seit über 26 Jahren inhaftiert. Der aktuelle Vollzugsmodus der „erschwerten lebenslangen Haft“ verstoße gegen das Folterverbot, wie es auch der Europarat festhält. Dennoch sei keine Umsetzung der EGMR-Urteile durch den türkischen Staat erfolgt.
Forderungskatalog im Überblick
In ihrer Petition fordert die Kanzlei unter anderem:
· einen ad-hoc-Besuch des CPT auf Imrali,
· eine Menschenrechtskonforme Haftgestaltung,
· uneingeschränkten Zugang zu Anwält:inne und Familienangehörigen,
· ein Ende der systematischen Disziplinarstrafen,
sowie die Veröffentlichung des CPT-Berichts vom 22. September 2022.
Abschließend betont Asrin, dass das bestehende Haftregime auf Imrali von internationalen Gremien als Form institutionalisierter Misshandlung bewertet wird. Die Kanzlei appelliert an das CPT, seiner Aufgabe gerecht zu werden und dem „permanenten Ausnahmezustand“ auf Imrali ein Ende zu setzen.