Während in den Massenunterkünften für Schutzsuchende eine immer angespanntere Situation herrscht, bemüht sich die Bundesregierung in keiner Weise darum, dass Asylsuchende von Anfang an auch privat und dezentral unterkommen können. Stattdessen hält die Bundesregierung offensichtlich am Lagerzwang für Schutzsuchende fest.
Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage der fluchtpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Clara-Anne Bünger, hervor. Bünger hatte im ersten Teil der Frage die Bundesregierung gefragt, ob sich diese in der beim Flüchtlingsgipfel eingerichteten Arbeitsgruppe „Unterbringung und Finanzen“ aktiv dafür einsetzen werde, dass die Bundesländer zur Entlastung der staatlichen Aufnahmestrukturen allgemeine Regelungen erlassen sollen, wonach Asylsuchende außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen können, wenn sie privat, etwa bei Verwandten oder Bekannten, unterkommen.
Bundesregierung will sich nicht gegen Lagerzwang einsetzen
Die Bundesregierung antwortete: „Die derzeitigen Beratungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen verfolgen das gemeinsame Ziel, vor allem kurz- und mittel-, aber auch langfristig umsetzbare Lösungsvorschläge für die Herausforderungen bei der Unterbringung in Umsetzung der geltenden gesetzlichen Regelungen und tatsächlichen administrativen Gestaltungsrahmen vor Ort zu formulieren.“ Übersetzt bedeutet das „Nein“, denn das entspräche nicht „den geltenden gesetzlichen Regelungen und tatsächlichen administrativen Gestaltungsrahmen“. Dass dies nicht stimmt, zeigt der Fall Berlin, in dem eine entsprechende Ausnahmeregelung geschaffen wurde. Das bedeutet, Innenministerin Faeser ist nicht bereit, sich für ein Ende des Lagerzwangs gegenüber Schutzsuchenden einzusetzen.
„Statt von Begrenzung der Aufnahme zu schwadronieren, muss Lagerzwang aufgehoben werden“
Bünger kommentiert: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Innenministerin Faeser sich gegenüber den Bundesländern trotz der angespannten Unterbringungssituation nicht dafür einsetzen will, dass Asylsuchende von Beginn an privat unterkommen können, wenn ihnen das möglich ist. Das könnte die staatlichen Aufnahmestrukturen sofort entlasten, das würde nicht mal was kosten – im Gegenteil! Stattdessen werden Asylsuchende gezwungen, in menschenunwürdigen Massenunterkünften zu bleiben, selbst wenn Verwandte bereit wären, sie aufzunehmen. Nur das Land Berlin hat eine entsprechende Ausnahmeregelung erlassen. Diesem Vorbild müssen die anderen Bundesländer folgen, statt in gefährlicher Weise von einer Begrenzung der Aufnahme zu schwadronieren, die mit humanitären Grundsätzen in keiner Weise vereinbar wäre.“ Durch den Lagerzwang wird ein Zusammenkommen von Schutzsuchenden und Bevölkerung effektiv verhindert und ein Abbau von Ressentiments erschwert.
Bundesregierung hält auch an willkürlicher Zwangsverteilung fest
Im zweiten Teil der Frage ging es um die Verteilung von Schutzsuchenden nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel, der festlegt, wie viele Schutzsuchende wohin geschickt werden, und dazu führt, dass viele Schutzsuchende vollkommen abgeschottet in Lagerunterkünften außerhalb von Städten mitten auf dem Land untergebracht werden, fernab von Hilfe und Communities aus den Herkunftsländern. Bünger fragte die Bundesregierung, ob diese Überlegungen zur Änderung des derzeitigen Verteilungssystems nach dem Königsteiner Schlüssel, so dass künftig zum Beispiel Interessen aufnehmender Kommunen, individuelle Bedürfnisse und Unterkunftsmöglichkeiten, soziale Netzwerke und Integrations- und Erwerbsmöglichkeiten berücksichtigt werden könnten, unterstütze. Die Antwort der Bundesregierung war auch hier ein deutliches „Nein“: „Der Königsteiner Schlüssel hat sich nach Auffassung der Bundesregierung als geeignetes Instrument zur gerechten Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland bisher bewährt.“ Der hier verwendete Begriff „gerecht“ bezieht sich offensichtlich nicht auf die Rechte der Schutzsuchenden. Bünger kommentiert: „Auch auf Initiativen für ein neues Verteilsystem, das die Bedürfnisse der betroffenen Geflüchteten, soziale Netzwerke, Erwerbsmöglichkeiten usw. berücksichtigen würde, will die Bundesregierung nicht eingehen. Stattdessen behauptet sie, der starre Königsteiner Schlüssel habe sich bewährt. Dabei gibt es bei den Bundesländern großes Interesse an solchen Überlegungen – momentan läuft ein Pilotprojekt, an dem sich mehrere Länder beteiligen.“
„Positive Erfahrungen mit Aufnahme von Ukraine-Geflüchteten werden nicht generalisiert“
Bünger kritisiert die Bundesregierung: „Es ist wirklich enttäuschend, dass die Bundesregierung sich so dagegen sperrt, aus den positiven Erfahrungen bei der Aufnahme der Ukraine-Geflüchteten zu lernen und daraus Schlussfolgerungen für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden aus anderen Ländern zu ziehen. Lagerunterbringung zum Zweck der Abschreckung ist ohnehin menschenrechtswidrig und muss beendet werden - für alle Geflüchteten.“ Damit weist Bünger deutlich auf ein Zweiklassenasylsystem hin. Während Schutzsuchende aus der Ukraine ihrem berechtigten Schutzanspruch unkompliziert und ohne größere Schikanen eingeräumt bekommen, werden Schutzsuchende aus dem Rest der Welt systematisch abgesondert, diskriminiert und isoliert.