Vor einem Gericht in der nordkurdischen Provinz Amed (Diyarbakir) ging am Mittwoch der vom türkischen Kriegsverbrecher Musa Çitil angestrengte Prozess gegen sieben Journalisten zu Ende. Angeklagt waren Ömer Çelik, A. Vahap Taş, Çağdaş Kaplan, Selman Çiçek, Hamza Gündüz, İnan Kızılkaya, Kemal Sancılı sowie der Aktivist Selim Gönenç, denen im Zusammenhang mit einer in den sozialen Medien verbreiteten Meldung zur Militärbelagerung in Sûr, der Altstadt von Amed, „Benennung von Akteuren im Kampf gegen den Terror” vorgeworfen wurde. Konkret ging es in der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen die Journalisten um die Meldung mit dem Titel „Die Belagerung trägt den Namen ‚Fahne 12', der Mann an ihrer Spitze heißt Musa Çitil“. Der Bericht erschien zunächst bei der mittlerweile per Notstandsdekret verbotenen Nachrichtenagentur DIHA (Dicle Haber Ajansı) und später bei der ebenfalls verbotenen Tageszeitung Özgür Gündem und benannte den damaligen Kommandanten der Gendarmerie (Militärpolizei, türkisch: Jandarma) in Amed, Musa Çitil, als Verantwortlichen für die Operation in der Altstadt von Amed. Çitil, mittlerweile befördert zum stellvertretenden Oberkommandanten der Jandarma, trat als Nebenkläger in dem Verfahren auf. Die Staatsanwaltschaft hatte ein bis drei Jahre Freiheitsstrafe für die Journalisten gefordert. Das Gericht sprach sie frei.
Zerstörung von Sûr
Im November 2015 begann mit der Ausrufung einer Ausgangssperre die Zerstörung Sûr. Die Altstadt von Amed, die eine fünftausendjährige Geschichte hat und unter dem Schutz der UNESCO steht, hatte kurz zuvor die Selbstverwaltung ausgerufen. Ungefähr dreieinhalb Monate leisteten die Bewohner*innen Widerstand gegen ein barbarisches Angriffskonzept des türkischen Staates. Doch die Zerstörung setzt sich bis heute fort.
An der Spitze der Militärbelagerung von Sûr stand Musa Çitil, dessen Name seit den 1990er Jahren mit Massakern, Folterungen und Vergewaltigungen in die Öffentlichkeit gelangt. Mehrfach wurde ihm vorgeworfen, Kurdinnen und Kurden, die er in Untersuchungshaft nahm, vergewaltigt, gefoltert oder getötet zu haben. Die türkische Justiz sprach ihn jedes Mal frei - und der Staat beförderte ihn.
Musa Çitil: Kriegsverbrecher, Vergewaltiger, Mörder
In Dêrika Çiyayê Mazî (Derik, Provinz Mêrdîn/Mardin) hatte Çitil – damals noch als Regionalkommandant der Jandarma für die Region Amed, in den Jahren 1993 und 1994 die Hinrichtung von 13 Zivilist*innen zu verantworten. Ebenfalls 1993 vergewaltigte er die damals 17-jährige Şükran Aydın, die am 29. Juni nach einem Überfall auf ihr Dorf Taşkın festgenommen wurde. Im November desselben Jahres wurde in Dêrika Çiyayê Mazî ein junges Mädchen namens S.E. in Untersuchungshaft genommen. Nach ihrer Freilassung ging sie ins Ausland und erzählte jahrelang nichts von ihrem Erlebten. Als sie ihr Schweigen nicht mehr ertragen konnte, ging sie zur Rechtsanwältin Eren Keskin und berichtete von mehreren Vergewaltigungen in Untersuchungshaft. Eren Keskin, die heute Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, strengte daraufhin gegen 405 Soldaten einen Prozess wegen Vergewaltigung an. Einer dieser Soldaten: Musa Çitil. Aber auch in diesem Prozess sprach ihn die türkische Justiz frei.
Türkei wegen Musa Çitil vom EGMR verurteilt
Anfang 1993 wurde Salih Tekin, der zu dieser Zeit als Korrespondent für Özgür Gündem arbeitete, in Dêrika Çiyayê Mazî in Untersuchungshaft genommen. Auf der Wache wurde er gefoltert. Seinen Erzählungen zufolge droht ihm Musa Çitil mit dem Tod, falls er noch einmal diese Region aufsuche. Salih Tekin erstattete Anzeige, woraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Zwei Jahre später jedoch wurde die Akte geschlossen. Der Betroffene Tekin reichte daraufhin eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein, der die Türkei verurteilte.