Sozdar Avesta: KRG überlässt südkurdische Gebiete der Türkei

Sozdar Avesta (KCK) fordert angesichts der Okkupation Südkurdistans durch die Türkei eine nationale Einheit und Bemühungen für einen nationalen Kongress. Dem KRG-Präsidenten Nêçîrvan Barzanî legt sie nahe, die Zusammenarbeit mit der AKP zu beenden.

Als Mitglied im Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat sich Sozdar Avesta in einer Sendung im kurdischen Sender Stêrk TV über die durchbrochene Isolation des PKK-Vordenkers Abdullah Öcalan geäußert. Avesta beurteilte in der Sendung ebenfalls die türkische „Operation Kralle”, die die Annexion südkurdischer Gebiete bezweckt. „Die PDK hat der Türkei bereits wichtige Gebiete überlassen”, erklärte Avesta und rief die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Besatzung auf.

„Die Durchbrechung der Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan, die erneute Anwalts- und Familienbesuche auf der Gefängnisinsel Imrali ermöglicht hat, ist eine Errungenschaft des Widerstands, den der Massenhungerstreik hervorbrachte”, sagte Avesta. Im Moment sei zwar noch nicht abzusehen, ob wahlstrategische Gründe der Regierungspartei AKP zu den Besuchen bei Öcalan führten, doch die bisher genehmigten Treffen hätten bereits die Atmosphäre in der Türkei verändert. „Das kurdische und das türkische Volk haben aufgeatmet. Im öffentlichen Diskurs werden wieder Werte wie Demokratie und Freiheit sowie Ansichten zur Verteidigung von Grundrechten thematisiert. Die Menschen sind wieder auf der Suche nach Gerechtigkeit. Im Grunde wurde durch die Besuche deutlich, dass verbesserte Bedingungen Öcalans und ein Eingreifen seinerseites zur einfachen und schnelleren Problemlösung beitragen”, sagte Avesta.

Öcalan ist der Hauptakteur für Verhandlungen

Aus Sicht der kurdischen Seite ist Abdullah Öcalan sowohl für die Demokratisierung der Türkei als auch für den damit verbundenen Friedens- und Verhandlungsprozess in der kurdischen Frage der Hauptverhandlungspartner, ergänzte die aus Êlih (Batman) stammende Ezidin. „Rêber Apo hat seine Philosophie, er ist wissenschaftlich gebildet und verfügt über 50 Jahre Erfahrung in der Mittelostpolitik. Er hat ein Projekt, das er umsetzen möchte. Gesetzt den Fall, der türkische Staat bestrebt tatsächlich eine Lösung der Probleme, sollte es regelmäßige Besuche bei Öcalan geben. Ausreichend wäre dies allerdings nicht. Für Öcalan muss es Bedingungen geben, in denen er frei leben und arbeiten kann. Er sollte in den Lösungsprozess miteinbezogen werden und neue Perspektiven eröffnen können”, forderte Sozdar Avesta.

Fall der AKP/MHP-Allianz unaufhaltbar

Im weiteren Verlauf der Sendung kam Avesta auf die wiederholte Oberbürgermeisterwahl in Istanbul zu sprechen und erinnerte an die Strategie der HDP, keine eigenen Kandidaten in der symbolisch wichtigen Metropole zu nominieren. Diese Strategie hat letzlich zum Sieg über die AKP-MHP-Koalition beigetragen. Entsprechend ihrer Wahltaktik, die sich mit den Worten „in Kurdistan gewinnen und im Westen verlieren lassen“ zusammenfassen lässt, hatte die HDP wie bei der wiederholten Wahl in Istanbul auch während der Kommunalwahlen am 31. März in den anderen großen westlichen Metropolen als „unsichtbare Kraft“ gewirkt. Sozdar Avesta resümierte, die Strategie der HDP habe zum Bruch des faschistischen Blocks geführt und erklärte ergänzend: „Die AKP und die MHP sind im Sturzflug – niemand kann ihren Fall jetzt noch aufhalten. Doch die demokratischen Kräfte sollten sich insbesondere jetzt nach der Wahl stärken, neue Projekte ins Leben rufen und unbedingt verhindern, dass sich die AKP-MHP von dieser Phase erholt. Das Istanbuler Bündnis sollte erhalten bleiben. Jedem ist spätestens jetzt klar, dass das kurdische Volk ein grundlegender Akteur ist.”

Südkurdische Regierung reicht Erdoğan die Hand

Im Rahmen der Sendung äußerte sich Sozdar Avesta auch zur türkischen Invasion in Südkurdistan. Es sei nicht das erste Mal, dass die Türkei südkurdisches Territorium angreift, um ihre Besatzungsambitionen zu verwirklichen: „Sie versuchen es immer wieder und stoßen bei jedem Versuch, Südkurdistan zu besetzen, auf den Widerstand der kurdischen Befreiungsbewegung und ihrer Guerilla, die faktisch als menschlicher Schutzschild das Land verteidigt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Kämpferinnen und Kämpfer der HPG und YJA-Star grüßen, die sich von Haftanîn bis Xakurke dem rassenfanatischen türkischen Besatzungsstaat widersetzen und die Invasion eindämmen. Ich gedenke zudem all derer, die in diesem Kampf ihr Leben ließen. Sie haben die Würde der Menschheit verteidigt.“

Barzanî hat Erdoğan südkurdisches Gebiet überlassen

Anschließend verwies Avesta auf die Verantwortung der südkurdischen Autonomieregierung (KRG) bei dem Besatzungsversuch der Türkei und sagte: „Seit Erdoğan an der Macht ist, wird ihm vom hiesigen Verwaltungsapparat immer dann, wenn seine Regierung in Bedrängnis gerät oder eine Niederlage erleidet, die Hand gereicht. Bei Wahlen fungieren sie stets als vermeintliches Ass im Ärmel der AKP, um für die Stimmen der kurdischen Bevölkerung zu buhlen. Es sind in den meisten Fällen Funktionsträger der PDK, die sich so verhalten.“ Nach der Wahl Nêçirvan Barzanîs zum Präsidenten der Föderalen Region Kurdistans Ende Mai hätten die Kurden und andere Kräfte erwartet, dass Barzanî eine andere Haltung als die seiner Vorgänger einnimmt. „Doch weit gefehlt: In Südkurdistan wird derzeit das Fundament für eine Barzanî-Dynastie angelegt. So sollten die Geschehnisse betrachtet werden. In einer Zeit, in der es massive Angriffe gibt, reiste Barzanî kurz vor der Istanbul-Wahl in die Türkei, wo er sich mit Erdoğan traf. Für uns stellt dieser Besuch nicht nur eine Unterstützung für den AKP-Wahlkampf dar. Bei dem Treffen ist die offizielle Übergabe südkurdischen Territoriums erfolgt. Nur einen Tag nach der Türkei-Reise Barzanîs sind in Metîna sechs strategisch wichtige Gipfel an die türkische Armee übergeben worden“, unterstrich Avesta.

Aufruf an die Bevölkerung

Angesichts dessen sei ein geschlossener Widerstand des kurdischen Volkes unabdingbar, um zu vermeiden, dass der türkische Staat in Südkurdistan weiter an Boden gewinnt. „Ich rufe die Jugend und die Frauen, Schüler*innen und Studierende, die patriotischen Kräfte und die Zeugen des Massakers von Helebçe (Halabja) auf, sich am Widerstand gegen die Besatzung zu beteiligen. Den Abgeordneten des Parlaments der irakischen Zentralregierung und solchen im kurdischen Regionalparlament lege ich nahe, Rechenschaft vom KRG-Präsidenten zu verlangen, sofern sie ihrem Land gegenüber loyal verbunden sind“, sagte Avesta. In einer Botschaft an Nêçîrvan Barzanî betonte sie, dass die derzeitige Situation inakzeptabel sei. „Das Unglück, unter dem das kurdische Volk leidet, muss ein Ende finden. Wir müssen zur nationalen Einheit zurückkehren und Bemühungen für einen nationalen Kongress wiederaufnehmen. Als Präsident der Föderalen Region Kurdistan ist nur dies für Barzanî der richtige Weg. Eine andere Haltung würde sein Ende bedeuten“, sagte Sozdar Avesta.