Mit dem „Unabhängigkeitsreferendum“ in Südkurdistan hat eine neue Phase begonnen, die durch die türkische Invasion fortgesetzt wird. Der Generalsekretär der Patriotischen Union Kurdistans (YNK), Celal Talabani, ist im Jahr 2012 erkrankt und am 3. Oktober 2017 verstorben. In Folge dessen setzten die PDK und ihr Führer Mesud Barzani ein Referendum für ein „unabhängiges Kurdistan“ durch. Das Referendum war ein Ergebnis der gemeinsamen Pläne Mesud Barzanis mit der türkischen AKP. Mesud Barzani wollte sich zum Präsidenten aller vier Teile Kurdistans ausrufen lassen, aber die Rechnung ging nicht auf. Die AKP und Erdoğan unterstützten das Referendum unter der Hand, aber ihr Ziel war es, dadurch alle vier Teile Kurdistans zu treffen und zu besetzen. Deshalb war bis zum Referendum fast nichts von der Türkei zu vernehmen, der türkische Staat war jedoch der erste, der nach dem Referendum gegen Mesud Barzani und Südkurdistan vorging. Die Grenzen wurden geschlossen, Mesud Barzani und die politische Führungsriege wurden mit Beschimpfungen überzogen. Die Bevölkerung Südkurdistans wurde offen bedroht. Von der Türkei bezahlte, ausgebildete und bewaffnete Milizen in Kerkûk wurden mobilisiert. Es fanden Gespräche mit dem damaligen irakischen Präsidenten Haider al-Abadi statt, der das irakische Militär und seine Milizen nach Kerkûk und in die umstrittenen Gebiete schickte.
Noch bevor ein Monat nach dem Referendum vergangen war, haben das irakische Militär, die Bundespolizei und Hashd al-Shaabi in Kerkûk interveniert und die Stadt besetzt. Zuerst gingen Kerkûk und die umstrittenen Gebiete verloren, insgesamt verlor die südkurdische Autonomieregion 51 Prozent ihres Territoriums.
Daraufhin war Mesud Barzani gezwungen, vom Amt des Regionalpräsidenten zurückzutreten. Es blieb Neçirvan Barzani, der rückhaltlos mit der Türkei kollaborierte und bereit war, Kurdistan und alle Werte seinem persönlichem Vorteil und dem seiner Familie zu opfern. In dieser Phase begann der türkische Staat mit pausenlosen Angriffen auf zivile Siedlungen in den Regionen Bradost, Behdînan, Zap und Gare. Dutzende Zivilisten wurden dabei getötet. Neçirvan Barzani versuchte aus diesen Angriffen noch Nutzen für die Türkei zu schlagen, indem er die vom AKP-Regime getöteten Menschen aus der Zivilbevölkerung ohne zu zögern der kurdischen Freiheitsbewegung anlastete.
Die Wahlen in Südkurdistan
Einen Tag vor der irakischen Intervention in Kerkûk und den umstrittenen Gebieten trafen sich Vertreter der PDK und YNK in Dukan. Dort wurde die Entscheidung getroffen, diese Gebiete dem Irak zu überlassen. Danach beschuldigten sich PDK und YNK gegenseitig des Verrats dieser Gebiete und versuchten sich davon freizusprechen. Sie haben allerdings beide den gleichen Beitrag dazu geleistet. Sie haben die Kurden die Rechnung für ihre verfehlte Politik bezahlen lassen. Die PDK hatte sich mit Erdoğan und der AKP auf das Ziel verständigt, die YNK, die eine weniger feindliche Haltung der kurdischen Freiheitsbewegung gegenüber verfolgte, unter Kontrolle der Türkei zu bringen. Dieser Druck hat die sowieso schon geschwächte YNK gespalten und sie unter die Kontrolle der PDK gebracht. Die PDK hat auch die Gorran-Bewegung, die während der Efrîn-Invasion die aufrechteste Haltung zeigte, an den Punkt gebracht, mit dem türkischen Staat zu kollaborieren.
Vor dem Hintergrund des gescheiterten Referendums fanden am 30. September 2018 Regionalwahlen statt. Nach den Wahlen erklärte die PDK, mit allen, die ihr Programm akzeptieren, zur Regierungsbildung bereit zu sein. Sie verständigte sich mit der Gorran-Bewegung. Danach fanden um die zwanzig Treffen mit der YNK statt. Es wurden drei schriftliche Verträge unterzeichnet. Während allerdings die PDK diese Abkommen unterzeichnete und Gespräche führte, gab sie ihre Kandidaten für den Regionalpräsidenten und den Ministerpräsidenten bekannt. Als Kandidat für das Amt des Regionalpräsidenten wurde Neçirvan Barzani aus dem Barzani-Klan aufgestellt, als Ministerpräsident der Sohn Mesud Barzanis, Masrur Barzani. So wird nun die Region vollständig vom Barzani-Klan kontrolliert. Auch wenn es sehr umstritten war und das Parlament praktisch nicht funktionierte, wurden die Abgeordneten praktisch auf Befehl der PDK versammelt und Neçirvan Barzani mit 66 Stimmen zum Präsidenten der Autonomieregion Kurdistan „gewählt“.
Die Wahlen und die Invasion
Als diese Sitzung am 28. Mai begann, hatte der türkische Staat bereits am Vorabend mit der Bombardierung der südkurdischen Gebiete Xakurke und Lolan begonnen. Die Bekanntgabe der „Operation Kralle“ erfolgte während der Parlamentssitzung. Dies zeigt, dass mit der Wahl von Neçirvan Barzani eine neue politische Phase begonnen hat, in der ganz Südkurdistan der Türkei zur Besetzung freigegeben wird. Obwohl inzwischen zwanzig Tage seit Beginn der Invasion vergangen sind, haben weder Neçirvan Barzani, die PDK oder die YNK irgendeine kritische Erklärung abgegeben. Es ist klar, dass eine Erklärung von Neçirvan Barzani wieder den türkischen Angriff legitimieren und die kurdische Freiheitsbewegung beschuldigen würde. Bisher gibt es noch keine Äußerung, die PDK und die von ihr abhängige YNK stellen sich taub, stumm und blind.
Um Çavuşoğlu nicht zu verärgern
Nachdem Neçirvan Barzani zum Präsidenten Südkurdistans gewählt worden war, wurde seine Vereidigungszeremonie am 10. Juni vorbereitet. Dazu wurde der türkische Außenminister Çavuşoğlu eingeladen. Er wurde am Flughafen von Hewlêr von Barzani empfangen. Bei der Vereidigung wurde die kurdische Nationalhymne Ey Reqip aus Rücksicht auf Çavuşoğlu nicht gespielt. Sogar offiziell besetzte Gebiete oder Autonomieregionen spielen ihre Nationalhymnen beim Amtsantritt von Politikern. Das zeigt, dass Barzani weniger der Präsident einer Region, als vielmehr der Gouverneur eines Besatzungsstaats ist. Durch dieses Verhalten wurden die Kurden insgesamt und besonders die südkurdische Bevölkerung zutiefst verletzt.
Wenn man all das zusammennimmt, dann wird klar, dass die türkische Invasion direkt von der PDK unterstützt wird. Um damit nicht alleine dazustehen, sind Gorran und die YNK zum Schweigen gebracht worden.
Die Bevölkerung Südkurdistans protestiert gegen die Invasion
Die große Mehrheit der südkurdischen Bevölkerung ist extrem wütend über die Invasion. Die Wut richtet sich auf den türkischen Staat, aber auch auf die kollaborierenden kurdischen Kräfte. Die Menschen haben mit Protesten in Germiyan begonnen. Germiyan ist das Zentrum des Widerstands und des Kriegertums. Dann haben die Peschmerga-Dêrin, die Veteranen der Peschmerga, gegen die Invasion protestiert und erklärt, sie seien bereit in die Region zu gehen und zu kämpfen. Die Bevölkerung von Derbendixan versammelte sich am Platz des Schmieds Kawa und zeigte ihre Wut über die Besatzung. Die Patriotische Jugendbewegung Südkurdistans begann eine Aktion lebender Schutzschilde in Binarê Qendîl. Der Widerstand der Bevölkerung in Südkurdistan steigert sich kontinuierlich und weist daraufhin, dass die Wut gegenüber der Regionalregierung, den Parteien und Kräften, die zu der Besatzung schweigen, explodieren wird.