Proteste nach irakischem Angriff
Nach dem gestrigen Angriff der irakischen Armee auf ein Fahrzeug der Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) herrscht in der Region ein Ausnahmezustand. Bereits seit gestern protestieren die Menschen im Zentrum von Şengal gegen die Truppenverlegung der irakischen Armee in ihre Gebiete und zeigen ihre Unzufriedenheit.
Die irakische Armee hatte am Dienstag Abend ein Team der YBŞ in einem Hinterhalt angegriffen und hierbei drei von ihnen verwundet. Nach dem Angriff blockierten irakische Truppen das Stadtzentrum und positionierten Panzer und schwere Waffen in den Straßen. Berichten von vor Ort zufolge seien Hunderte Soldaten und Polizisten in die Region entsandt und die Ein- und Ausgänge der Stadt gesperrt worden.
Situation durch Dialog lösen
Sowohl die Koordination der militärischen Kräfte als auch der Stammesrat von Şengal gaben aufgrund der sich entfaltenden Situation am Mittwoch Erklärungen ab und forderten die irakische Armee auf, ihre Truppen aus der Stadt abzuziehen.

In einer Pressemitteilung rief die Militärkoordination den Irak dazu auf, die Kräfte, die sich dem selbsternannten „Islamischen Staat“ (IS) widersetzten und ihr Land verteidigten, zu respektieren. In der Erklärung hieß es weiterhin: „Wir betonen, dass ein rationaler Dialog der beste Weg zur Lösung des Problems ist. Gegenseitiges Verständnis ist der Gewalt vorzuziehen.“ Die Koordination möchte Einigkeit und Bündnisse entwickeln, und so regionale Stabilität einkehren lassen. Die Interessen und Gefühle der Bevölkerung Şengals müssten berücksichtigt werden.
Stammesrat mahnt zu Besonnenheit
Der Vorstandsvorsitzende des Stammesrates Dexil Mirad sagte in einer Erklärung, der Rat beobachte die neuerlich angespannte Situation in Şengal mit Sorge und Trauer und rief alle Parteien dazu auf, mit Bedacht zu handeln, um die Situation zu beenden. Probleme müssten nun durch Dialog gelöst werden. Der Rat forderte auch die Widerstandseinheiten der YBŞ und die lokalen Sicherheitskräfte Asayişa Êzidxanê dazu auf, die irakische Armee nicht zu provozieren, sodass beide Seiten eine friedliche Situation in der Region wiederherstellen könnten.
Autonomieregion Şengal
Die Region im Norden des Iraks wird mehrheitlich von Ezid:innen bewohnt, die seit 2014 einem andauernden Völkermord ausgesetzt sind. Die Glaubensgemeinschaft mit vorchristlichen Wurzeln hat im Şengal eine Selbstverwaltung aufgebaut. Diese basiert, wie auch die Demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, auf kollektiver Verantwortungsübernahme, Frauenbefreiung und Basisdemokratie. Die ezidische Bevölkerung ist nach wie vor Verfolgung in der muslimisch geprägten Bevölkerung ausgesetzt, und kann nicht auf den irakischen Staat vertrauen. Dieser hat bisher keine Schritte unternommen, um die Glaubensgemeinschaft zu schützen oder ihre Rechte zu garantieren. Zehntausende ezidische Binnenflüchtlinge harren unter schwierigen Bedingungen in Camps aus. Zudem ist die Region ständigen Angriffen der Türkei ausgesetzt, die unter dem Vorwand der „Bekämpfung der PKK“ seit 2017 immer wieder Luftschlägen durchführt. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus der Zivilbevölkerung.