In der kurdischen Şengal-Region im Nordirak ist ein Angriff auf ezidische Selbstverteidigungskräfte verübt worden. Wie die Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) mitteilten, habe die irakische Armee am Dienstagabend das Feuer auf ein Fahrzeug des Verbands eröffnet. Der Wagen mit einem dreiköpfigen Team der YBŞ sei im zentralen Yermuk-Viertel in Şengal-Stadt unterwegs gewesen, als er aus einem Hinterhalt heraus unter Beschuss gesetzt wurde. Alle drei Kämpfer seien von Kugeln getroffen und verletzt worden, einer von ihnen schwer, hieß es.
Truppenverlegung nach Şengal
Nach dem Angriff habe die irakische Armee eine große Anzahl von Truppen und Panzern in das Zentrum von Şengal verlegt, so die YBŞ. Die Spannungen in der Region seien dem Kampfverband zufolge extrem hoch, in der Region herrsche eine Art Ausnahmezustand. Eine Demonstration des Demokratischen Autonomierats von Şengal (MXDŞ) gegen die Provokationsversuche der irakischen Armee konnte nicht stattfinden, weil der Konvoi des Gremiums zwischen der Hochebene Serdeşt und Şengal-Stadt aufgehalten wurde.
Einschüchterungsversuche
Die Einwohner:innen von Şengal hingegen protestieren gegen den Angriff auf der Straße mit der Parole „Bijî Berxwedana YBŞ'ê“ („Es lebe der Widerstand der YBŞ“). Die Spannungen zwischen der Bevölkerung und der Armee halten an. Die irakischen Truppen würden versuchen, die Menschen mit Waffen einzuschüchtern.
Hintergrund Şengal
In Şengal fand 2014 ein Völkermord der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) an der ezidischen Bevölkerung statt. In den Jahren danach wurde von der Bevölkerung ein System der Selbstverwaltung aufgebaut, das auf Basisdemokratie und Geschlechtergerechtigkeit basiert. Der vor über zehn Jahren begonnene Genozid hält bis heute an und prägt die Realität der Ezid:innen. Noch immer leben zehntausende Ezid:innen als Binnenflüchtlinge unter prekären Umständen in Camps im Irak und der Kurdistan-Region des Irak, wo die Verfolgung der Glaubensgemeinschaft innerhalb der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung fortgesetzt wird.
Die irakische Regierung hat bisher keine Schritte für die Sicherung der Rechte des ezidischen Volkes unternommen; sie versucht vielmehr die Kontrolle über die Gebiete zu erlangen. Im August 2024 waren erneut hunderte ezidische Familien zur Flucht gezwungen worden: Einige Imame hatten während der Freitagsgebete in Moscheen sowie in sozialen Medien Hetzreden gegen die Ezid:innen gehalten und zu ihrer Verfolgung aufgerufen (ANF berichtete).
Auch die Türkei geht gewaltsam gegen Şengal vor. Unter dem Vorwand der „Bekämpfung der PKK“ kommt es seit 2017 immer wieder zu Luftschlägen durch türkische Kampfflugzeuge und Drohnen auf die Region. Konkrete Ziele sind hierbei zumeist Einrichtungen, die unter dem Eindruck des IS-Genozids gegründet wurden – wie etwa das Verwaltungsgremium MXDŞ oder die Selbstverteidigungseinheiten YBŞ und YJŞ. Bei den Todesopfern handelt es sich hauptsächlich um Menschen aus der Zivilbevölkerung – oftmals sind es Überlebende des Völkermords von 2014.