Michael Panser: Brief aus den freien Bergen Kurdistans

Für Michael Panser war Kurdistan das Zentrum der Auseinandersetzung unserer Zeit, der zeitgenössische Versuch, eine freie Gesellschaft und einen demokratischen Sozialismus zu ermöglichen. Das schrieb der Internationalist 2018 in den Bergen.

Am 14. Dezember 2018 ist Michael Panser (Nom de Guerre: Bager Nûjiyan / Xelîl Viyan) bei einem türkischen Luftangriff in Kurdistan ums Leben gekommen. Zu seinem vierten Todestag wollen seine Weggefährt:innen mit einem musikalischen Gedenken in Potsdam an ihn erinnern. Die Gedenkveranstaltung findet am Samstag um 18 Uhr in Potsdam statt. Die Musiker:innen Bermal Çem, Jiyan Arjîn und Serhat Çarnewa sowie ein Chor werden den Abend mit kurdischen und revolutionären Liedern gestalten.

Michael Panser war Internationalist und beteiligte sich am Aufbau eines alternativen Gesellschaftssystems nach der Philosophie von Abdullah Öcalan. Parallel zu seiner praktischen Arbeit verfasste er theoretische Texte und schrieb Briefe an seine Freund:innen in Deutschland und anderen Teilen der Welt. Der folgende Text ist ein Ausschnitt aus einem Brief, den Michael Panser, der sich damals Bager Nûjiyan nannte, 2018 aus den freien Bergen Kurdistans schrieb:

Brief aus den freien Bergen

Es gibt diesen Satz, dass jede Generation jene braucht, die ihr Leben nicht leben als hätte es einen Anfang und ein Ende, sondern die im Bewusstsein eines Endes und Neuanfangs leben. Ich glaube, ich habe mir unbewusst, doch mit der Zeit immer klarer und zuletzt durch die bewusste Entscheidung diese Haltung zum Beruf, zur Grundlage meines Weges gemacht. Es gab in jeder Zeit diese Form des Berufs, der Berufung; Nomaden, Wandermönche, Waldläufer, bis die Moderne in Europa durch Verstädterung, Industrialisierung und staatliche Verwaltung den Raum verengt hat. Aber es gibt und gab das Nomadische in jeder Zeit, ist Teil unseres kulturellen Erbes und Unbewussten, vertieft in 280.000 Jahren nomadischen Klanlebens.

In unserer Zeit, wo sich die Kultur so weit verdinglicht und in materielle Werte ausgeformt hat, ist der Beruf, der die ideelle Kultur der Veränderung und Selbsterneuerung radikal zu Grunde legt, in der Form des Berufsrevolutionärs zurückgekehrt. Und wenn ich auch nicht von mir behaupten kann, dieses hohe Ideal zu verkörpern, dient es doch als Gedankenstütze, als ein Vorbild für einen Weg, den viele große, schöne Menschen, höhere Menschen vor uns gegangen sind und zu Sinnbildern der Erneuerung, des Aufbruchs, der Suche des freien Lebens und des Widerstandes und Kampfes gegen das Falsche, den Verrat an der Menschheit wurden.

Für mich verbindet es all die Kunsthandwerker, die für mich wertvoll, aber getrennt voneinander nicht vorstellbar waren: Schriftsteller, der vom richtigen Weg erzählt, von den Welten, die möglich sind; Journalist, der nach der Wahrheit forscht und nur diese schreibt; Historiker, der die Geschichte mit dem Leben und unserer Zeit verbindet und auf die Zukunft verweist; Psychologe, der die Blockaden des Geistes löst; Musiker, der aus Nichts und der Stille Harmonie und Schönheit erschaffen kann.

All diese Dinge auf eine richtige Grundlage zu stellen und mit Bedeutung zu füllen, hat mich bis nach Mesopotamien geführt und mir klar gemacht, dass dieser Weg und Beruf, soll er nachhaltig sein und nicht nur individualistische Lebenskunst, auf eine breite kollektive und organisierte Weise ausgeübt werden muss. Ich bin Teil dieser großen Bewegung hier geworden, zum Einen, um tiefer lernen, verstehen zu können, wie wir diese Veränderung zuerst in uns selbst leben und voranbringen können, zum Anderen im Bewusstsein darüber, dass das Zentrum der Auseinandersetzung unserer Zeit, der zeitgenössische Versuch, eine freie Gesellschaft und einen demokratischen Sozialismus zu ermöglichen, der Mittlere Osten, Kurdistan ist.

Auch wenn mein Ziel nach wie vor ist, diese Klarheit, das Bewusstsein und die Kraft, die von hier ausgeht, zurück nach Europa zu tragen, ist doch noch nicht klar, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sein wird, und was für Aufgaben noch auf diesem langen Weg zurück liegen. Es ist eine der großen und schönen Missionen, die Philosophie und den Geist eines neuen Internationalismus von hier aus zu verbreiten, nach Europa zu bringen und darüber hinaus. Der Weg hierher war nur ein Anfang, denn die Aufgaben der Zeit brauchen eine gute Grundlage.

Ich werde diesen Sommer in eine andere Baumschule gehen, zwei Hügel weiter östlich, in den freien Bergen. Wenn ich bisher auf Grundschulniveau gelernt habe, ist das ein eher universitärer Rahmen, ich werde unter weisen Freundinnen und Freunden die Zusammenhänge vertiefen, weiter nach Wahrheiten suchen. Bis zum Herbst wird das meine Mission sein. Was danach passiert, ist offen, es heißt gespannt zu sein, und wachsam. Es gibt viele Ideen, Pläne, und wenn wir die Hintergründe und Bedingungen des Weges gut verstanden haben, werden wir eine richtige Entscheidung treffen können und es wird etwas Gutes daraus werden. Was auch immer am Ende dabei herauskommt – es wird großartig sein.

Ich mochte von allen Jahreszeiten den Herbst immer am meisten – für mich stellt er eine Zeit der Klarwerdung dar, in der alles endet und zu klarer, tiefer Bedeutung führt und im Sturm die eigene Kraft fühlbar wird. Eine Zeit der Veränderung, ein Erwachen nach der Leichtigkeit des Sommers. Ich glaube, Entscheidungen und Verbindungen, die im Herbst entstehen, haben für mich immer eine größere Tiefe gehabt, denn sie entstehen im Hinblick auf die Gefahr, den drohenden Kälteeinbruch und im Bewusstsein der Notwendigkeit des Bündnisses. Vielleicht war das Gefühl meiner Jugend ein endloser Herbst, vielleicht beschreibt das auch das Klima unserer Gesellschaft – In stummer Erwartung der Kälte, und in Hoffnung auf einen Frühling, von dem noch niemand weiß, wann er kommt und wie er herbeigeführt wird.

Ich bin seit zwei Wochen an einem neuen Ort, über den es heißt, dass er immer kalt ist, was sogar besungen wird, aber für mich ist es das beste Klima, als Kind des Nordens; das einzige was mir fehlt, sind Wälder. In dieser Hinsicht hatte ich dieses Jahr kein Glück, denn auch den Sommer über befand ich mich in heftigen Höhen, in denen sich kein Baum hält. Den Sommer über habe ich vor allem studiert, und du wirst vielleicht ein wenig lachen, wenn du erfährst, was sich die Freund:innen für mich ausgedacht haben. Gerade warte ich auf meine Geige, um meine Arbeit beginnen zu können. Wie lange ich dabei bleibe und was zukünftige Wege angeht, ist noch alles offen und wir werden sehen, welchen Sturm der Frühling bringt.

Ich fühle mich am Anfang eines neuen Wegabschnittes, einer Zeit des Wirkens, Schaffens, die auf einen langen Weg folgt, der vor allem dem Lernen und der Klarwerdung gewidmet war. Dieser Weg war sehr lang, sieben Jahre, deren Ende die letzten anderthalb Jahre in diesem seltsamen Teil der Welt verlief, über den es keine Karten gibt (und wenn es welche gibt, dann können die in keinster Weise zeigen, was die wahre Bedeutung dieser Gebiete ist).

Die letzte Zeit habe ich vor allem damit verbracht, Klarheit über die Frage des richtigen Stils und der Methode zu gewinnen; natürlich spiegelt sich darin die Frage der richtigen Führung - sowohl Selbstführung als auch die Frage der Initiative in kollektiver und gesellschaftlicher Hinsicht. Denn meine Schwäche bestand in genau dieser Hinsicht – nicht richtig ausdrücken, verkörpern und leben zu können, was ich in Gedanken als richtig, wahr und schön erkannte. Aus der Losgelöstheit des Denkens entwickelten sich diese vielen Fehler, idealistische Annäherungen, falsche Haltung, Negativität und Wut (im Grunde stellen ja diese Wutausbrüche, die eigentlich Panikattacken sind, die patriarchale Angst dar, die im Kleinen die nihilistische Geste der faschistischen Aggression, den mentalen Mikrofaschismus zum Vorschein bringen, hilfloser Aufschrei gegen die scheinbare Ausweglosigkeit der Situation und Spiegel der Gewalt der Welt, die immer gegen die falschen gerichtet ist). Vor allem glaube ich, dass ich entgegen dem Anschein vorpreschender Initiativkraft furchtbar langsam lerne und mich verändere, was wirkliches Verstehen betrifft.

Von jetzt an beginnt für mich der Rückweg, der Versuch nach Hause zu kommen. Natürlich nicht das alte Zuhause, das es nicht mehr gibt; sondern der Weg des Erschaffens einer lebenswerten Welt. Unser Zuhause ist das Land der Kinder der Zukunft, wie es einige Freunde formulierten, und der Weg dorthin führt über das Verstehen und Vereinen unserer Vergangenheit mit unserem tiefen Begehren und der Wirklichkeit. Mein Weg in diesem Teil der Welt und alle Entscheidungen waren darauf gerichtet, eine Lösung zu finden für das Dilemma unserer Jugend und Gesellschaften. Vielleicht auch, weil ich ein gutes Stück konservativer bin, als ich mir vorher eingestanden hätte, fühle ich, dass mein Weg mich nach Europa zieht, und dass der Teil, der mir zufällt, vor allem dort stattfindet. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass ich erst spät gelernt habe, ein Gefühl für eine Art Heimat und für die Gesellschaft zu gewinnen, aus der ich komme, und das Sehnen danach entsprechend stark und frisch ist, eine Verbindung bewusst zu leben.

Ich will gegen die lange Zeit der verhinderten Liebe und des blockierten Begehrens eine lachende Rache leben, die nicht zerstört, sondern alles Falsche zwingt, sich zu verändern und die Wahrheit zu erkennen. Die Diskussionen, die wir hier führen, lassen auf Gutes hoffen, und auch wenn noch nicht klar erkennbar ist, wann und wie sich alles entwickeln wird, glaube ich, dass all das ganz hervorragend ist und etwas Großartiges dabei herauskommt. Ich vertraue darauf, dass du und ihr eurerseits voranschreitet und eure Energie stetig wächst.