Michael Panser: Euch allen viel Erfolg
Der Guerillakämpfer Michael Panser erzählt in einem im Herbst 2018 aufgenommenen Video von seinen Vorstellungen von einer zeitgenössischen Revolution und seinen Erfahrungen in den freien Bergen Kurdistans.
Der Guerillakämpfer Michael Panser erzählt in einem im Herbst 2018 aufgenommenen Video von seinen Vorstellungen von einer zeitgenössischen Revolution und seinen Erfahrungen in den freien Bergen Kurdistans.
Der Guerillakämpfer Michael Panser, mit Codenamen Xelîl Viyan und Bager Nûjiyan, ist am 14. Dezember 2018 durch Bombardierungen der türkischen Besatzungsarmee in den Medya-Verteidigungsgebieten ums Leben gekommen. In einem Video berichtet er während eines Akademieaufenthaltes im Herbst 2018 über seine Vorstellung von einer zeitgenössischen Revolution und seinen Erfahrungen in den freien Bergen Kurdistans:
Mein Name ist Bager Nûjiyan
Mein Name ist Bager Nûjiyan, vorher war mein Name Xelîl Viyan. Mein Familienname ist Michael Panser. Ich bin am 1. September 1988 in Potsdam zur Welt gekommen, in Ostdeutschland.
Meine Familie sind Menschen mit Liebe zum Land und zur Gesellschaft und sie waren seinerzeit verbunden mit dem Paradigma des Realsozialismus. Sie sind solidarisch und haben eine emotionale Verbundenheit. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus wurde natürlich eine Krise durchlebt, doch sie stehen dafür ein und sind mit sozialistischen Werten und Ethik verbunden. Ich glaube, dass auch das eine Grundlage für meine Suche nach der Wahrheit der Revolution ist.
Im jungen Alter von etwa 14 Jahren nahm ich eine aktive Rolle in der Linken ein und begann meine Suche. Dass ich später die PKK und die Philosophie Abdullah Öcalans kennen lernte, liegt gewiss auch in dieser Phase begründet. Ich habe mich an antifaschistischen und linken Arbeiten in Deutschland beteiligt. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, aber es wurde klar, dass diese Erfahrungen auf meiner Suche nicht genügen. Der Rahmen eines liberalen Lebens, gefangen in den Zwängen des kapitalistischen Systems, ist sehr weit weg von der Wirklichkeit der Revolution. So kam es zu einem Ausbruch daraus und einer weitergehenden Suche.
Auf dieser Suche hat sich der Weg nach Kurdistan aufgetan
2011/2012 habe ich die ersten Hevals kennengelernt, besonders durch die Jugend und Frauenbewegung. Das Kennenlernen bezog sich zunächst nicht auf die Praxis, die Gesellschaft oder die Realität in Kurdistan, sondern ich habe als erstes die Philosophie Abdullah Öcalans kennengelernt. Und darin bestand meine Suche: Was sind die Schwächen der revolutionären Suche, die wir uns vorgenommen hatten? Mit unserer theoretischen und philosophischen Suche wollten wir eine Befreiungsideologie finden und entwickeln. In der Umgebung der europäischen Gesellschaft war das natürlich mit großen Schwierigkeiten verbunden. Auf dieser Suche hat sich wie selbstverständlich der Weg nach Kurdistan aufgetan. Wir haben die Philosophie Abdullah Öcalans kennengelernt, wir haben die übersetzten Bücher gelesen und studiert. In dieser Zeit haben wir einiges begriffen: Wonach wir in Europa suchen, ist das, was jenseits der westlichen Zivilisation und kapitalistischen Moderne, hier im Mittleren Osten verborgen liegt und dessen Geschichte verloren gegangen ist. Von neuem entwickeln sich hier nun diese revolutionären Errungenschaften und bieten neue Antworten. Zur selben Zeit, als der Realsozialismus bei uns zusammenfiel, wurde in Kurdistan der Weg geebnet für eine neue revolutionäre Wirklichkeit. Auf unserer Suche ist uns das bewusst geworden. Wir haben Kontakte geknüpft und unseren Weg nach Kurdistan gefunden.
Das europäische Problem ist die kapitalistische Moderne
Eines haben wir so langsam verstanden: Das europäische Problem ist an die Lösung der kapitalistischen Moderne, die kapitalistische Lebensweise, geknüpft. Bei der Durchsetzung des kapitalistischen Ausbeutungssystems übernimmt Deutschland eine Führungsrolle, das muss uns dabei bewusst sein. Wir haben auch erkannt, dass ohne eine internationalistische Perspektive, eine revolutionäre Perspektive, die die verschlossenen Grenzen überwindet, für dieses Problem keine Lösung möglich ist.
Auf diese Weise haben wir so langsam dazugelernt, die Revolution in Kurdistan kennengelernt und eigentlich begann ich in dieser Zeit, mich ernsthaft der Revolution anzuschließen. Seit 2012 vertieften wir unsere Gedanken weiter, wir bildeten uns und bemühten uns, eine Bewegung nach den Werten des Paradigmas aufzubauen, welches Inhalt unserer Diskussionen war. Die Erfahrungen und Schwächen, die sich in dieser Phase zeigten, haben uns eines erkennen lassen: dass es nicht funktioniert, sich nur halbherzig an der Revolution zu beteiligen. In dieser Zeit habe ich meine Entscheidung getroffen. Wirklich revolutionär zu sein muss bedeuten, ganzheitlich zu denken. Revolutionäre Menschen müssen zeitgemäß sein und sich von der engstirnigen Denkweise des Eurozentrismus und den Perspektiven lösen, die die sogenannte Moderne bietet. Ansonsten ist es unmöglich, erfolgreich zu sein.
Die revolutionäre Kraft aufbauen
Diese Erkenntnis habe ich durch ideologische Vertiefung erlangt. Sie bedeutete, dass der Beitritt zur Arbeiterpartei Kurdistans das ermöglicht, was ich für notwendig erachte: Die revolutionäre Kraft aufzubauen. Das habe ich erkannt. Mir ist auch klargeworden, dass eine zeitgenössische Revolution keine Grenzen kennen kann. Das wäre unmöglich, Revolution kann so nicht funktionieren.
Die Revolution in Europa beginnt mit der Revolution in Kurdistan. Diese Verbindung besteht definitiv. Schließlich ist das Paradigma, das auf engmaschige und grobe Art und Weise seine Dominanz in Europa aufrechterhält, der Gesellschaft ein liberales Leben aufzwingt und Ausbeutung zur absoluten Grundlage seiner Gesellschaftsordnung macht, eben jenes Paradigma, das heute die schweren Angriffe auf Kurdistan durchführt. Da haben wir begriffen, dass wir zuallererst Erfahrungen der revolutionären Praxis sammeln müssen. Auf diese Weise habe ich mich voll und ganz der Revolution gewidmet.
Zunächst habe ich mich an der internationalistischen Praxis beteiligt, nicht nur um das Denken und das neue Paradigma Abdullah Öcalans in Europa zu verbreiten, sondern insbesondere um die kapitalistische Moderne besser verstehen zu lernen, die sich als letzte Form der männlich-dominanten Mentalität der Gesellschaft aufzwingt. Dazu haben wir geforscht und auch eine gewisse Praxis entwickelt. Daraufhin kam ich nach Kurdistan.
Die Liebe zur Gesellschaft
Im Zentrum der Revolution steht die revolutionäre Bewusstseinsveränderung. Das ist die grundlegende Aufgabe im Arbeitsbereich der Akademien. Das, was du zuvor in der Gesellschaft nicht denken konntest, denn speziell im kapitalistischen Zentrum Europas ist das Denken sehr gespalten und zusammenhanglos, und lässt somit nicht zu, dass ein neues Bewusstsein entsteht. Somit kommt es nicht zu einer Suche im breiten Sinne eines neuen Paradigmas. Es kann keine neue Philosophie entstehen, die das Leben selbst zur Grundlage nimmt und einen wirklichen Sozialismus umsetzen will. Wir reden von der Verteidigung der Gesellschaftlichkeit, der Liebe zur Gesellschaft. Selbstverständlich ist die Liebe zur Gesellschaft in einer ausgebeuteten Gesellschaft nicht möglich.
Mir ist klar geworden, dass diejenigen, die auf einer revolutionären Suche sind, in ihrer Suche sehr weit gehen müssen. Sie müssen konsequent bis zur Substanz vordringen. Wenn wir eine neue Umsetzung des sozialistischen Lebens schaffen wollen, so müssen wir dorthin gehen, wo die Freiheit am weitesten umgesetzt ist. Die Berge Kurdistans sind ein außergewöhnlicher Ort. Sie bieten die Möglichkeit, sich in der Praxis selbst zu erfahren. Sie lassen dich erkennen, was es bedeutet Einsatz zu zeigen und sich anzustrengen; und sie lassen dich die Bedeutung dieser Mühe von neuem begreifen.
Wie tief sind die Spuren, die das System in unserer Gedankenwelt hinterlässt? Im kommunalen Leben, wie es in den Bergen gelebt wird, werden alle Probleme und Mängel in unserem Bewusstsein deutlich, die durch die herrschaftliche Denkweise geschaffen werden. Eine kommunale Lebensgemeinschaft, eine revolutionäre Umgebung, die auf dem gemeinsamen Willen aufbaut, die Menschlichkeit zu fördern und die einzelnen Persönlichkeiten aus den Zwängen der herrschaftlichen Verhaltensmuster zu befreien. Diese Möglichkeit wurde hier wirklich geschaffen. Das herrschaftliche System kann diese Grundlage, die geschaffen wurde, nicht einfach so angreifen. Natürlich finden militärische Angriffe statt, doch im Kampf gegen die ideellen und psychologischen Folgen der herrschaftlichen Denkweise können wir hier, durch ernsthafte Anstrengungen und Arbeit, ein neues Bewusstsein schaffen.
Geteilte Werte und gegenseitige Unterstützung
Das war der Grund, weshalb ich auf meinen eigenen Vorschlag hin zur Akademie hierhergekommen bin. So sehr ich in der Praxis auch eine Entwicklung im Denken erreichen konnte, gab es die Notwendigkeit, mich an diesen besonderen Ort zu begeben. Denn die Akademie schafft eine Umgebung, in der intensiv und konkret an der Bewusstwerdung der eigenen herrschaftlichen Denkweisen gearbeitet wird und gleichzeitig auch an dessen Alternative. Das wird in einer Umgebung umgesetzt, die geprägt ist vom gemeinschaftlichen Zusammenleben, der gemeinschaftlichen Arbeit, dem Austausch miteinander, alles ist vorhanden - die geteilten Werte, die gegenseitige Unterstützung.
Die wirkliche Freundschaft wird in Akademien am deutlichsten gelebt. Wir analysieren gegenseitig sehr genau, welche Überreste des Ausbeutungssystems sich im Verhalten einer Freundin oder eines Freundes zeigen. Es ist hier nicht so, dass wir das Individuum von der Gemeinschaft trennen oder ein Individuum sich an die Eigenschaften der Gruppe anpassen muss. Aus meiner Zeit in der Linken kann ich sagen, dass wir diesen Widerspruch gar nicht lösen konnten. Die richtige Balance zu finden zwischen der einzelnen Person, die einen inneren Kampf führt, und ihrem Umfeld, sodass sie sich gegenseitig stärken und aufbauen. Einen Menschen in der Form, wie er gerade ist, anzuerkennen und schützen zu wollen, kann nicht alles sein - denn alle in dieser Gesellschaft haben herrschaftliche Verhaltensweisen angelernt bekommen. Was bedeutet wahre Freundschaft, die wir hier leben und schaffen wollen? Wir nehmen einen Menschen nicht als das, was er geworden ist und wie er vor mir steht, sondern entsprechend seiner Ziele und seines Potentials. Es ist unsere Herangehensweise, jede Freundin und jeden Freund entsprechend ihrer Kräfte zu entwickeln. In diesem Sinne kritisieren wir uns gegenseitig und bemühen uns um Methoden der Persönlichkeitsentwicklung. Dafür bin ich in die Akademie gekommen und das ist ein sehr intensiver innerer Kampf. Durch diese Anstrengungen schaffen wir die Grundlage für dieses Leben. Denn es ist uns bewusst, dass der Sozialismus, den wir schaffen wollen – das heißt, ein neues Leben, ein nach Freiheit strebendes Leben, ein gleichberechtigtes Leben, das den Menschen selbst als Wert versteht, das den Wert gesellschaftlicher Errungenschaften erkennt und sich das Potential der Gesellschaft selbst sowie die Weisheiten und Kämpfe, die geführt wurden, zur Grundlage nimmt.
Mit der eigenen Persönlichkeit anfangen
Wenn wir unsere Träume und Utopien aufbauen wollen, wo müssen wir anfangen? In unserer eigenen Persönlichkeit. Abdullah Öcalan betont insbesondere die Auswirkungen des Patriarchats. Seine Analyse ist auf die gesamte hegemoniale Zivilisation übertragbar, indem er sagt: Wenn die innere patriarchale Männlichkeit nicht überwunden wird, so wird Sozialismus immer unvollständig bleiben. Ein Sozialismus, der nicht in die Substanz geht, d.h. nicht im Menschen selbst beginnt und keine neue Persönlichkeit, freie Persönlichkeiten schafft, kann keine neuen Errungenschaften hervorbringen.
Den vergangenen Sozialismus, die historischen Versuche, die es gegeben hat und ihre Unzulänglichkeiten, bewerten wir auf diese Weise. Es gab eine kämpferische Gesellschaft und es entwickelte sich auch eine Vorreiterschaft, aber die Wurzel des Problems wurde nicht erfasst: Was ist ein freier Mensch? Das ist die grundlegende Frage. Was sind die Auswirkungen von Herrschaft im Menschen selbst? Das ist das grundlegende Problem. Weil diese Fragen nicht behandelt wurden, hat sich das System selbst wiederholt. Es fand keine Loslösung vom herrschaftlichen Denken statt. Obwohl so viele in diesem Kampf ihr Leben gaben, große Bemühungen angestellt wurden und viel Blut und Schweiß geflossen sind, haben diese Versuche vielleicht nicht ganz versagt, jedoch sicher nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt. Das müssen wir feststellen.
Das Leben in der Akademie ist die Bemühung sich zu befreien. Revolution ist nichts, was auf einmal stattfindet. Sie ist weder ein einzelner Aufstand noch ein militärischer Sieg. Das ist nicht möglich. Revolution ist ein anhaltender Zustand, der mit einem Schritt, mit einer Entscheidung beginnt: Die Entscheidung, sich an der Revolution zu beteiligen und vom herrschenden System loszulösen; die Feststellung, dass das Leben, zu dem wir in diesem System gezwungen sind, falsch ist und es nötig ist, etwas Neues aufzubauen. Vielleicht beginnt die Revolution in jedem Menschen mit einem Aufstand, sie ist an sich jedoch ein anhaltender Zustand. Wenn sie nicht zu einem Prozess wird, der sich an den bestehenden und zukünftigen Umständen entlang ausrichtet, dann ist es keine Revolution. Das ist ein Aufstand oder eine Revolte, aber keine Revolution. Oftmals ist das historisch falsch begriffen worden und wurde zum Hindernis.
Denken, Fühlen, Handeln
Wir bauen unsere Basis auf dieser Erkenntnis auf. Davon ist auch unsere zukünftige Beteiligung abhängig und lässt sich nicht vorhersagen. Der Weg der Revolution lässt sich nicht nach einem Plan gestalten und umsetzen. Dass das unmöglich ist, hat die Geschichte gezeigt. Daher bestehen die Vorbereitungen, die wir hier treffen, im Aufbau einer militanten Persönlichkeit. Was bedeutet es, eine militante Persönlichkeit zu sein? Wir müssen für alles vorbereitet sein, wie die aktuelle Phase es von uns verlangt. Somit schaffen wir ganzheitliches Denken: Die Methode zu begreifen, worin die aktuelle Lage besteht, die historische Bedeutung und die Gefahren der aktuellen Situation, in der wir uns befinden, und ebenso ihre Potentiale.
Wenn wir so leben und es so begreifen, dann ist es sowieso nicht so wichtig, wohin wir gehen - in welchem Land wir tätig sind, in welchem Teil Kurdistans oder ob wir auf einen anderen Kontinent gehen. In der Praxis gibt es da natürlich Unterschiede, entscheidend ist jedoch die Ganzheit. Unsere Ideen richtig zu begreifen, unsere Organisation weiterzuentwickeln, die richtige Sprache, die richtige Form der Kommunikation und der Kritik – und in diesem Sinne unser Leben richtig zu organisieren. Wenn wir diese Dinge gut umsetzen und uns um eine gute Praxis bemühen, den Wert unserer Mühen zu schätzen wissen und auch die Anstrengungen unserer Freundinnen und Freunde richtig begreifen, können wir uns dementsprechend verhalten. Insbesondere auch die Bedeutung von Mühe und Einsatz der Gefallenen, die ihr Leben in diesem Kampf gegeben haben – wenn wir all diese Punkte richtig begreifen, so können wir durch Schaffung der Einheit von Denken – Fühlen – Handeln Militante schaffen, die alles umsetzen können, was notwendig sein wird. Das wurde in der Entwicklung dieser Revolution tatsächlich bewiesen, nicht wahr?
Euch allen viel Erfolg
Ein Mensch, der im Willen klar ist, und sich in seinen Gefühlen und seinen Sehnsüchten wirklich mit der Freiheitssuche, dem richtigen Kampf zur Offenlegung der Wahrheit verbindet, kann alles erreichen. Es gibt Beispiele in unserer Bewegung und auch in anderen Revolutionen vor uns gibt es zehntausende Beispiele von revolutionären Menschen, wie sie handeln, welche Anstrengungen sie leisten und wie sie sich beteiligen. Es ist sowohl unser Ziel als auch unsere Pflicht, genau dafür zu stehen und entsprechendes zu tun. Soviel kann ich dazu sagen. Euch allen viel Erfolg!