An einen Suchenden, der gefunden hat: Michael Panser

„Lieber Heval, der mit uns gesucht hat. Lieber Heval, mit dem wir immer wieder auch gefunden haben." Aktivistinnen der Kampagne „Gemeinsam Kämpfen“ haben einen Brief an den gefallenen Guerillakämpfer Michael Panser geschrieben.

Der deutsche Guerillakämpfer Michael Panser (Bager Nûjiyan, auch Xelîl Vîyan) ist am 14. Dezember 2018 bei einem türkischen Luftangriff auf die südkurdischen Medya-Verteidigungsgebiete gefallen. Seine Freundinnen, Weggefährtinnen und Genossinnen aus der feministischen Kampagne „Gemeinsam Kämpfen“ gedenken ihm mit dem nachfolgenden Brief, den sie direkt an ihn richten:

Wir, einige langjährige Freundinnen und Weggefährtinnen von Xelîl – als den wir ihn vor allem kannten – haben die Nachricht bekommen, dass er gefallen ist, und versuchen, gemeinsam mit unseren Gefühlen zu sein und Antworten zu finden, was jetzt folgen kann und muss. Wir erinnern uns an den Menschen, mit dem wir so Unterschiedliches geteilt haben. Wir erinnern uns an die gemeinsame Suche nach Formen sich zu organisieren, die stundenlangen Diskussionen, das gemeinsame Singen von revolutionären oder auch anderen Liedern. Das Essen von Linsensuppe und das Trinken von schwarzem Tee, der auf ganz bestimmte Art und Weise zubereitet werden musste. Wir erinnern uns an den Menschen, der sich mit uns über die Jahre verändert hat. Den Menschen, mit dem wir gemeinsam große Schritte gegangen sind. Wir erinnern uns an den Menschen, der dann die Entscheidung getroffen hat, in die Berge zu gehen, unseren gemeinsamen Kampf an anderen Orten zu führen. Wir haben so viel, was wir eigentlich mit ihm diskutieren wollten. Diese Diskussionen werden wir führen. Wenn auch nun in seinem Sinne, aber ohne ihn. Die Schritte, die auch seine sind, werden wir gehen.

Hier ein paar der Dinge, die wir ihm mit auf den Weg geben wollen.

Lieber Freund,

oder reicht Freund, um dich anzusprechen? Muss es nicht viel mehr heißen, Freund, Weggefährte, Suchender, der mit uns gesucht hat? Es muss wohl eher heißen:

Lieber Heval, der mit uns gesucht hat.

Lieber Heval, mit dem wir immer wieder auch gefunden haben. Du hast den Ort und den Weg gefunden, den du für dich gesucht hast, wie du selbst einer Freundin sagtest. Es tut gut, das zu hören.

Du hast diesen Weg nicht nur für dich gesucht, sondern auch für uns und alle anderen, mit denen du gemeinsam gesucht hast. Du hast diesen Weg sogar für die Menschen gesucht, die sich selbst noch gar nicht auf die Suche gemacht haben. Du hast für uns, alle anderen, die Tiere, die Natur, die Sterne, das Universum gesucht. Und nun sind wir hier und versuchen Worte zu finden:

„Wenn ich an dich denke, dann sind da Erinnerungen an unsere Spaziergänge. Spaziergänge, die immer viel länger wurden als eigentlich geplant. Wie wir am Rande der einen großen Stadt durch die Wiesen gestreift sind und uns in Fragen verloren haben, darüber wie wir leben wollen. Ich erinnere mich an den Moment, wo du mir von der Revolution in Rojava erzähltest und was du darin siehst. Die Momente, in denen ich mit dir gemeinsam begreifen durfte, dass es etwas anderes braucht als das, was wir bisher versucht hatten. Mein Staunen darüber, wie viel wir einander geben konnten. Unser Staunen darüber, wie groß das ist, was sich vor uns auftut. Unsere Ehrfurcht und unsere Vorfreude, so viel vor uns zu haben.

Ich erinnere die Silvesternacht, in der du um 23 Uhr auf einmal vor meiner Tür standest. Du kamst aus den Bergen Kurdistans und unsere Welten, in denen wir da gerade dachten und fühlten, waren nur bedingt die gleichen. Ich in der studentischen Großstadt und du in der revolutionären Kollektivität der befreiten Berge. Und doch waren wir uns tief innen drinnen so nah.”

Wir erinnern unser einander Verstehen in der Suche nach einem guten Leben. Wir erinnern, wie wir gemeinsam so entschlossen waren, wie vermutlich selten zuvor.

Wir erinnern auch deinen Kampf mit dir selbst darum, der Mensch zu werden, der du sein wolltest. Dein Kampf mit dir als Mann und auch unser Kampf mit dir darin. Unser tiefes Vertrauen, dass du diesen Kampf ernst meinst. Dass du diesen Kampf kämpfen wirst. Deine Entscheidung, in die Berge zu gehen, war der Schritt, der dich dem so viel näher brachte. In diesem Moment bist du zu einer Person geworden, die Vorbild für all die Männer sein kann, die sich selbst in Liebe zu allen anderen Menschen finden wollen.

Nun sind wir hier, an dem Ort, wo deine Suche Spuren hinterlassen hat. Verstehen so viele deiner Worte, die du uns damals sagtest. Wir sehen deine Spuren und legen neue daneben, die mit deinen gemeinsam noch viel weiter führen werden. Spuren bis dahin, wo die Welt frei sein wird. Das versprechen wir dir, Heval.

Dieses Versprechen geben auf ihre eigene Art und Weise viele Menschen. Denn nicht nur hier, sondern an so vielen Orten und in so vielen Begegnungen hast du Samen gesät. Samen, die nun sprießen und von keinem Staat in dieser Welt aufgehalten werden können. Sprösslinge, die in uns und mit uns wachsen. Und genau das ist die Bedeutung dessen, was die Freund*innen hier meinen, wenn sie „Şehîd namirin“ sagen. Und auch das, was wir meinen, wenn wir sagen, die Gefallenen sterben nicht. Sie leben in uns weiter. In unserem Leben. In unserem Kampf. In unserer Liebe zueinander und zum Leben. In den Geschichten, die wir über dich und andere erzählen. In den Momenten, wenn wir uns fragen, wie es weitergeht und dann uns innerlich mit dir beratschlagen, was du wohl machen würdest.

„Auf der Suche nach Freiheit und Wahrheit ist er selber zum Fledermausmenschen geworden. Auf vielen seiner Wege – zu unterschiedlichen Zeiten und an den verschiedensten Orten – ist er immer wieder denen begegnet, die er in seiner Geschichte Fledermäuse nennt. Er hat auf seinen vielen Pfaden und in seinen vielen Begegnungen die Köpfe und Herzen der Menschen mit seinen Geschichten, verzweigten Gedanken und verschmitzter Fröhlichkeit gefüllt. Er ist zum Wind geworden, der dem Sonnenuntergang entgegen weht, die Blätter der Bäume rascheln und uns nicht stehen bleiben lässt.

Viele Brücken hat er zwischen Menschen und Kämpfen gebaut, über die wir heute weiterhin fragend voranschreiten. Einst hat er mir diese Geschichte erzählt, die ich mit euch gerne teilen möchte.”

Lieber Heval, du hast dir die Ästhetik der Zapatistas zu Eigen gemacht. Was könnte würdiger sein, als mit einer deiner eigenen Geschichten zu schließen. Wir sind im Kampf für die Liebe in dieser Welt mit dir, Heval.

Die Geschichte von den Gefühlen

Als die Götter, die nicht die ersten waren, auf die Erde kamen, sahen sie sich um, um zu sehen, wie die Welt war. Und sie beobachteten das Werk der anderen Götter, die als Sonne und Mond über den Himmel gehen. Sie sahen den Tag und die Nacht, die sie bringen, und die Fledermausmänner und -frauen, die als Sterne die Nacht erhellen und nur ihre Namen auf der Erde gelassen haben. Sie sahen Holzmenschen, Goldmenschen und die Fledermausmenschen, die kein Gesicht, aber alle Farben haben. Doch sie sahen, dass die Menschen nicht wussten, warum sie Dinge taten, und so beschlossen sie Rat darüber zu halten, wie es die Fledermausmänner und -frauen tun, die es von den Göttern gelernt haben.

Ein Gott sprach: „Sie haben keinen Grund, Dinge zu tun. Sie laufen umher und haben nichts, was sie erkennen lässt, was zu tun ist. Darum sind sie schutzlos. Essen sie nichts, müssen sie sterben.“ Also gaben die Götter den Menschen den Hunger.

„Sie kennen die Gefahr nicht“, sagte der Nächste. „Darum werden sie getötet.“ Also gaben sie ihnen die Angst.

Von nun an aßen die Menschen, wenn sie Hunger hatten, und suchten Schutz, wenn sie Angst hatten. Doch blieb die Angst, auch wenn sie sicher waren, da sie nichts anderes kannten, dass sie fühlen konnten. Also gaben ihnen die Götter auch noch die Geborgenheit, die der Angst Einhalt gebieten kann, und machten den Hunger verschwinden, wenn sie aßen.

Mit diesen Gefühlen lebten die Menschen. Doch fanden die Götter das Leben der Menschen noch immer leer, da sie nur damit beschäftigt waren, sich zu suchen und zu essen, wenn sie Hunger oder Angst spürten. Wieder hielten die Götter Rat, um zu entscheiden.

Der Jüngste der Götter schlug vor, ihnen die Fähigkeit zu spielen zu geben, um ihren Tag fröhlich zu machen. Sie diskutierten und nicht alle waren dafür. Als sie begannen zu streiten, verklecksten sie die Freude am Spielen, sodass es nur für die jüngeren Menschen reichte. Und bis heute kann niemand so gut spielen wie die Kinder und jene, die es im Herzen sind. Darüber jedoch wurde ein Gott so wütend, dass er aus Unachtsamkeit seinen Zorn über die Menschen brachte, und mit dem Zorn kam der Hass, und die Menschen lernten schlecht zu sein. So stritten die Götter noch eine Weile und als es Nacht wurde, schickten sie die anderen Gefühle, die den Hass besiegen sollten.

So lernten die Menschen viele Gefühle, die sie verwirrten und die um sie kämpften.

Die Fledermausmenschen, die gerade im Licht des Mondes zusammengekommen waren, wunderten sich über die anderen Menschen, die zornig und wütend, fröhlich und mutig, traurig und sehnsuchtsvoll waren, denn sie hatten keine Gesichter, und die starken Gefühle waren ihnen fremd. Und sie begannen nachzudenken, über sich, über die anderen Menschen, über die Farben, die ihnen die alten Götter gebracht hatten. Über das, was ihr Land war, und etwas Größeres, was die Welt ist. So fanden sie die Gedanken, und als sie sie ordneten, die Vernunft.

Als die Götter dies sahen, schufen sie die Wahrheit, doch als sie sie trugen, stolperte einer. Sie zerbrach in unendlich viele Teile, die in alle Richtungen davon flogen, sodass jeder Mensch einen winzigen Teil sehen kann, obwohl er sie doch in sich trägt. Da verzweifelten einige Götter, denn sie sahen das Chaos, das sie angerichtet hatten:

Die miteinander kämpfenden Gefühle, die sie über die Menschen gebracht hatten, den Streit, den sie damit gesät hatten, und die Wahrheit, die zerbrochen war. Da stiegen die Fledermausmenschen von den Bergen herab, denn sie hatten in den Farben Gefühle gefunden, die die Götter nicht kannten. Sie kamen wie die kleinen Flüsse aus den Bergen, deren Kraft erst sichtbar wird, wenn sie im Tal eintreffen. Sie kamen mit der Klarheit des hellblauen Bergbachs und mit der Fröhlichkeit eines orangenen Morgengrauens. Sie kamen durch das Grün der Selva voller Hoffnung und durch das silberne Licht des Mondes, welches sie klar und ehrlich sehen lässt.

Überall erblickten sie die Farben des Guacamaya, der die Farben der Welt in sich trägt und die seine Federn sind, und in den Farben sind die Gefühle, wie sie es immer waren. Sie brachten diese neuen Gefühle den Menschen und die Götter wunderten sich, denn die Gefühle waren anders. Sie stritten nicht mit den Anderen, sondern erfüllten die Herzen der Menschen, und der Hass konnte ihnen nichts anhaben. Sie wurzeln tiefer in den Menschen als die oberflächlichen Gefühle der Götter und vermögen den Weg zu weisen. Und die Götter sahen schnell, dass die Hoffnung aus dem Grün der Selva allen Menschen Mut gibt und so machten sie einen großen Teil der Welt voller Wälder, um die Hoffnung niemals wieder schwinden zu sehen.

Als aber die Fledermausmenschen ihre Gefühle über die Menschen gebracht hatten und wieder auf die Berge hinaufstiegen, sahen sie das Rot des Abends und sie entdeckten darin die Liebe. Sie lernten einander lieben, ihre Leben, ihre Welt. Sie lernten die Liebe zwischen Frauen, Männern, Kindern und allen anderen Menschen, da die Liebe keine Grenzen hat. Und die Liebe wurde als letztes und stärkstes aller Gefühle auf die Welt gebracht. Vor allem aber entdeckten die Fledermausmenschen die Liebe zu sich selbst, die in der Freiheit man selbst zu sein besteht, und darin, voranzugehen.

Und sie gingen weiter, voller Hoffnung, die nun in der Welt war. Und in Zeiten, wo es dunkel wird in der Welt, steigen sie von den Bergen herab, wie die Fledermäuse, die in der Nacht kommen. Fragend schreiten sie voran, und manchmal ist ihre Liebe gekleidet in eine würdige Wut, wenn die schlechten Gefühle der Götter stark werden auf der Welt. Doch immer schreiten sie voller Würde.

Und sie bleiben nicht stehen …