Die Kurdische Allianz für Freiheit und Demokratie hat ein Positionspapier zur Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei am kommenden Sonntag veröffentlicht. In der Stellungnahme verweist das Bündnis auf große Chancen und Risiken, die die Abstimmung gleichermaßen berge: „Die Politik der Verleugnung, Assimilierung und Gewalt gegen unser Volk nimmt weiter zu. Die Kurdophobie, die seit Gründung der türkischen Republik Bestand hat, kommt zur Wahrung des Status quo in verschiedenen Ausprägungen zum Vorschein. Das Regime hat weiterhin weder einen Lösungsvorschlag für die kurdische Frage noch alle anderen grundlegenden Probleme der Türkei.“
Urnengang jenseits aller Grundprinzipien demokratischer Wahlen
Weiter heißt es: „In der ersten Runde der Abstimmung wurden wir wie üblich Zeuge eines in jeder Hinsicht unfairen Wahlprozesses. Wir erlebten einen Urnengang jenseits aller Grundprinzipien demokratischer Wahlen. Die Türkei ist weit entfernt von fairen Wahlkampfbedingungen.“ Faire Bedingungen wären nach Ansicht der Allianz etwa gleiche Möglichkeiten gewesen, für sich zu werben. Stattdessen genossen der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Regierungsparteien AKP und MHP unfaire Vorteile. So hat der Präsident staatliche Ressourcen für den Wahlkampf eingesetzt, den die Opposition selbst finanzieren muss, und faktisch alle Ministerien und Behörden für seine Wahlkampagne mobilisiert. „Trotz aller Manipulationen und illegalen Methoden blieb Erdoğan als Kandidat der ‚Volksallianz‘ im ersten Wahlgang unter der für eine Wahl erforderlichen absolute Mehrheit und muss sich nun einer Stichwahl stellen.“
Kurdenfeindlichkeit zentrales Wahlprogramm der Herrschenden
Die kurdische Allianz moniert, dass Kurdenfeindlichkeit von den Herrschenden zum zentralen Wahlprogramm gemacht wurde. Konsens und politische Lösungsvorschläge würden nicht in das Kalkül des islamistisch-faschistischen Regierungsblocks aus AKP und MHP passen, die vom Krieg gegen Kurdinnen und Kurden profitierten und ohne ihn vor der Existenzfrage stünden. „Der Wahlkampf der ersten Runde war von antikurdischer Hetze überschattet. Mit präzise kalkulierten Hassparolen und der Mär einer Bedrohung für die Landesgrenzen zielten die Kandidierenden der Herrschenden darauf ab, eine gefährliche Polarisierung der Gesellschaft zu fördern. Leider wird der Wahlkampf für die Stichwahl ebenfalls von Kurdophobie beherrscht. Die Fortführung dieses Diskurses kann zu wachsenden Spannungen und einer tieferen Polarisierung in politische und ethnische Lager führen. Wir verurteilen diese diskriminierende Hasspolitik gegen unser Volk auf das Schärfste.“
Präsidialsystem beenden, Tor zu Demokratie öffnen
Dabei sei die Realität eindeutig: „Ohne die Lösung der kurdischen Frage wird sich in der Türkei weder das Tor zur Demokratisierung öffnen noch eine Normalisierung der Gesellschaft vollziehen. Die Grundvoraussetzung für ein demokratisches Ankara ist ein befreites Amed. Nur eine demokratische und friedliche Politik kann dies gewährleisten. Aus diesem Grund halten wir jeglichem Druck, Diskreditierung und Verleugnung auch weiterhin Stand und bleiben zur Verteidigung der Rechte unseres Volkes dem Kampf um Demokratie verbunden. Die kurdische Bevölkerung hat das Recht auf ein Leben in Frieden, Gleichheit, Freiheit und Wohlstand. Dafür setzen wir uns ein. Einer der wichtigsten Schritte, um dies zu erreichen, ist die Beendigung des derzeitigen Präsidialsystems.“
Für Demokratie und Wandel einsetzen
Die Kurdische Allianz für Freiheit und Demokratie glaubt an die „Kraft der demokratischen Politik“ und besteht auf ihrem Ideal nach einem Leben für Alle in freien und demokratischen Verhältnissen. Deshalb unterstützt das Bündnis auch bei der Stichwahl den Erdoğan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der Oppositionspartei CHP und Kandidat des sogenannten Sechsertischs. „Wir wollen einen politischen Boden beackern, auf dem das kurdische Volk seine Rechte erhält, ein Klima schaffen, in dem alle Probleme frei diskutiert werden können, und eine Normalisierung des politischen Lebens in der Türkei. Die Präsidentschaftswahlen sind ein historischer Test, der es möglich macht, dem unterdrückerischen und ausgrenzenden Ein-Mann-Regime ein Ende zu setzen. Wir rufen alle unsere Bürgerinnen und Bürger auf, sich mit ihrer Stimme für Demokratie und Wandel einzusetzen.“
Die Urnen unbedingt schützen
Um „zu siegen und erfolgreich zu sein“, ruft die Allianz die kurdische Öffentlichkeit, insbesondere die Jugend und alle kämpfenden Frauen und Männer auf, unbedingt zur Wahl zu gehen, solidarisch Hilfe zu leisten für alle Stimmberechtigten, die ohne Unterstützung von außen nicht an der Abstimmung teilnehmen könnten, und in den Wahllokalen alle Urnen und Stimmzettel zu schützen. Zur Wahl zu gehen sei eine wichtige Gelegenheit für die Lösung der Probleme der kurdischen Gesellschaft. „Für eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage, um sicherzustellen, dass keine weiteren Zwangsverwalter in unseren Rathäusern regieren, um der Verarmung ein Ende zu setzen, um sich gegen die Kriegs- und Gewaltpolitik zu stellen, um ein gleichberechtigtes und freies Leben für Frauen und eine sichere Zukunft für junge Menschen zu bieten: lasst uns zur Wahl gehen, unsere Stimme für den Wandel und die Demokratie einsetzen und die Urnenverteidigen. Der Schutz der Wahlurnen ist der Schutz unserer Zukunft.“
Kurdische Allianz für Freiheit und Demokratie
Die Kurdische Allianz für Freiheit und Demokratie wurde im April dieses Jahres im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahl gegründet. Zu ihren Mitgliedern gehören die Demokratische Partei der Völker (HDP), die Grüne Linkspartei (YSP), die Graswurzelbewegung „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD), die Partei der Demokratischen Regionen (DBP), Azadî (Freiheitspartei), der Revolutionäre Demokratische Kurdische Verein (DDKD), die Partei für Mensch und Freiheit (PIA), die Kommunistische Partei Kurdistans (KKP) und die Sozialistische Partei Kurdistans (PSK) an.