Es sind nur noch wenige Tage bis zur zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in der Türkei. Am Sonntag findet die Stichwahl zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan, der gleichzeitig Regierungschef und AKP-Vorsitzender ist, und dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu statt. Die Opposition ruft mit intensiver Dringlichkeit dazu auf, auch in der zweiten Runde zur Wahl zu gehen und das Ein-Mann-Regime zu beenden. Auch Fidan Ataselim, Generalsekretärin der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen", hält den zweiten Wahlgang von entscheidender Bedeutung und weist auf die Gefahr hin, dass Parteien wie die kurdisch-islamistische Hüda-Par und die „Neue Wohlfahrtspartei“ (Yeniden Refah Partisi), mit der sich die AKP zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen hat und die sich direkt gegen die Errungenschaften von Frauen richten, ins Parlament eingezogen sind.
Erdoğan hat in der ersten Runde nicht gewonnen
Erdoğan habe in der ersten Runde nicht gewonnen, betont Fidan Ataselim in einer Einschätzung der politischen Situation nach den Wahlen vom 14. Mai gegenüber ANF: „Recep Tayyip Erdoğan hat im ersten Wahlgang nicht gewonnen. Er erreichte nicht einmal 50 Prozent der Stimmen, und die Präsidentschaftswahl geht in die zweite Runde. Die Parlamentswahlen sind jedoch abgeschlossen, und leider sind vier Kandidaten der Hüda-Par auf der AKP-Liste zu Abgeordneten gewählt worden. Außerdem erhielten fünf Kandidaten der Neuen Wohlfahrtspartei genügend Stimmen und wurden Abgeordnete. Auch die MHP erhielt mehr Stimmen. Dieses Panorama zeigt, dass wir es mit dem reaktionärsten Parlament der Geschichte zu tun haben. Die Tatsache, dass sie Stimmen mit dem Versprechen erhalten, Frauenrechte abzuschaffen, ist ein Thema, über das wir alle nachdenken sollten. Der wichtigste Grund dafür ist die frauenfeindliche Politik der politischen Machthaber in den letzten Jahren.“
Erdoğans Volksallianz habe alle frauenfeindlichen Kräfte vereint, so Fidan Ataselim. Die stärkste Fraktion im Parlament setze sich aus Personen zusammen, die Gewalt gegen Frauen in der Ehe als legitim betrachten, Frauen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen versuchen und gemischtgeschlechtliche Erziehung ablehnen.
„Trotz aller Meinungsverschiedenheiten Kılıçdaroğlu wählen“
Daher sei die Stichwahl gerade für Frauen von entscheidender Bedeutung, allerdings werde der Kampf unabhängig vom Ergebnis nicht enden, betont Fidan Ataselim: „Wir sind mit einem erschreckenden Bild konfrontiert, aber es ist möglich, diese Entwicklung irgendwo zu stoppen. Das Wichtigste ist, dass Recep Tayyip Erdoğan die Präsidentschaftswahl nicht gewinnt. Es geht darum, den einen Mann loszuwerden. Bei der Stichwahl am 28. Mai sollten unsere Stimmen für Kılıçdaroğlu zusammenkommen, auch wenn wir normalerweise in anderen Fragen unterschiedlicher Meinung und mit seinem jüngsten Verhalten nicht einverstanden sind. So können wir immer noch einen Mechanismus und eine Möglichkeit haben, die entsetzliche Situation im Parlament zu beenden."
Fidan Ataselim appelliert an alle Frauen: „Deshalb sage ich, es ist an der Zeit, sich mehr zu organisieren. Ich sage den Frauen, lasst uns bei den Wahlen am 28. Mai unsere Stimmen für Kılıçdaroğlu zusammenbringen, aber für die folgenden Tage, egal wie das Ergebnis ausfällt, ist es unsere organisierte Kraft, die dafür sorgen wird, dass wir unsere eigenen Entscheidungen umsetzen können und dass sie nicht Hand an unsere Rechte legen. Deshalb rufe ich alle Frauen auf, sich gleichzeitig zu organisieren."