Der von Frauen angeführte Volksaufstand in Ostkurdistan und Iran, der sich vor vier Wochen an der Ermordung der 22-jährigen Jina Mahsa Amini entzündete, dauert an. Auch die weltweiten Proteste in Solidarität mit der Kurdin, die in Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei zu Tode gefoltert wurde, und der Revolte gehen weiter. In der Türkei gehört die westliche Metropole Istanbul mit ihrer großen iranischstämmigen Community zu den Zentren der globalen Proteste. Die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) kämpft seit Jahren für Frauenrechte und steht geschlossen hinter allen Frauen, die sich für Freiheit in Iran engagieren. Auch bei den Protesten der Istanbuler Exil-Community aus Iran stehen die Aktivistinnen der KCDP an vorderster Front. Doch der Verein, der selbst Zielscheibe der frauenfeindlichen Politik einer reaktionären Regierung ist, läuft Gefahr, verboten zu werden. Im Gespräch mit ANF betont die Generalsekretärin Fidan Ataselim, dass die Repression im Iran nicht weit von der Türkei entfernt ist.
In der Türkei nehmen manche Iran als Vorbild
Ataselim weist darauf hin, dass es in der Türkei Menschen gibt, die sich Iran als Vorbild nehmen. Konkretes Beispiel dafür sei die frauenfeindliche Politik. Der gefährliche Prozess der Rücknahme von Frauenrechten, der mit der Aufhebung der Istanbul-Konvention begann, habe auch zu Konzertverboten geführt, erklärt Fidan Ataselim: „Die Sängerin Gülşen Bayraktar Çolakoğlu wurde sogar verhaftet. Hier ging es nicht um die Worte, die sie sagte, sondern um die Art, wie sie gekleidet war und die Regenbogenflagge schwenkte. Mit der Repression gegen Gülşen sollen alle Kunstschaffenden eingeschüchtert werden. Ein Teil der Gesellschaft ist frauenfeindlich. Ihrer Meinung nach können Frauen nur leben, wenn sie Sklavinnen der Männer sind. Der Versuch, unseren Verein zu verbieten, ist ein Glied dieser Kette. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung."
Die Herrschenden protegieren und ermutigen die Täter
Mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention sei die Zahl der Femizide in der Türkei sichtbar geworden und zurückgegangen, berichtet Ataselim. Durch die frauenfeindliche Politik der Regierung habe sie jedoch wieder zugenommen. Auch durch den Ausnahmezustand und die Wirtschaftskrise steigt die Anzahl von Fimiziden an, betonte die Frauenrechtlerin: „Denn in solchen repressiven Zeiten ist die Haltung der Regierung entscheidend. Sie ermutigt die Männer und klopft ihnen auf die Schulter. Sie versucht, Frauen zu schwächen", sagte sie.
Wer die Unterhaltszahlungen antastet, vergreift sich am Zivilgesetz
Fidan Ataselim sagt, dass die Schwächung der Frau schrittweise erreicht wurde. Der Diskurs, der sich zunächst gegen das Lachen und die kurzen Hosen von Frauen richtete, umfasse inzwischen auch die Diskussion über die Unterhaltspflicht. „Das Recht auf Unterhalt anzutasten, bedeutet einen Eingriff in das Zivilrecht. In diesem Fall sind alle unsere Rechte in Bezug auf die Gleichstellung von Männern und Frauen in Gefahr. Diese Themen werden von Leuten auf die Tagesordnung gebracht, die sich am Mullah-Regime orientieren."
Gesetze werden verdreht, die Verfassung wird mit Füßen getreten
Die Gesetze werden gebogen und verdreht, die Verfassung wird verletzt und der Diskriminierung wird Schritt für Schritt der Weg geebnet, betont Ataselim. Einerseits werden die Errungenschaften der Frauen angegriffen, andererseits sollen nun auch diejenigen, die sich dagegen engagieren, mit dem Desinformationsgesetz zum Schweigen gebracht werden. Ataselim weist darauf hin, dass sich die Gesellschaft gegen diese reaktionären Zumutungen wehrt: „Die Gesellschaft macht Fortschritte und es findet ein allgemeiner Wandel im positiven Sinne statt. Wir erleben dies auch in unserem eigenen Kampf. Da diese Veränderung jedoch die Ablösung der AKP/MHP-Regierung bedeutet, versucht diese, ihren letzten Trumpf auszuspielen, um den Machtverlust zu verhindern.“
„Niemand kann uns von einem freien Leben abhalten“
Eines der Ziele des politischen Kampfes bestehe darin, diese Regierung loszuwerden, erklärt Fidan Ataselim: „Wird alles gut, wenn diese Regierung weg ist? Natürlich nicht! Aber es wird auf jeden Fall besser sein als jetzt. Wir werden nicht mehr nur um unser Überleben kämpfen müssen, es werden sich neue Türen für uns öffnen, wir werden für weitergehende Rechte kämpfen können. Niemand wird uns Frauen daran hindern können, frei zu leben – ob mit kurzen Hosen oder mit Kopftüchern. Wir werden uns nicht gegenseitig an unserer Kleidung abarbeiten."