Kein Tag ohne Femizid in der Türkei

Nach Recherchen der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen” sind im Mai mindestens 35 Frauen in der Türkei von Männern aus ihrem Umfeld ermordet worden, sechzehn weitere wurden auf verdächtige Weise tot aufgefunden.

In der Türkei sind im Mai mindestens 35 Frauen von Männern aus ihrem Umfeld ermordet worden, sechzehn weitere Frauen sind unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen. Das geht aus der aktuellen Femizid-Bilanz der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) hervor. Der Bericht der in Istanbul ansässigen Frauenrechtsorganisation enthält Daten über alle polizeilich erfassten oder medial veröffentlichten Morde an Frauen. Die Dunkelziffer dürfte vermutlich höher liegen.

Laut dem Mai-Bericht von KCDP sind knapp neunzig Prozent der Femizid-Opfer von gewalttätigen Ehemännern, Partnern, Ex-Partnern oder männlichen Verwandten getötet worden. Als Tatwaffen wurden vor allem Schusswaffen eingesetzt: 18 Frauen wurden erschossen, neun erstochen, weitere zwei erdrosselt. In achtzehn Fällen war das Motiv für die Femizide nicht feststellbar, fünfzehn Frauen wurden ermordet, weil sie über ihr eigenes Leben entscheiden wollten. Konkrete Anlässe waren Scheidungswünsche oder die Ablehnung eines Mannes als Lebenspartner. Der Report der Plattform führt zudem wieder vor Augen, dass Frauen am wenigsten sicher in ihrem Zuhause sind: 62 Prozent der im Vormonat in der Türkei von Männern getöteten Frauen wurden in ihren eigenen vier Wänden ermordet.

Seit Jahresbeginn sind damit mindestens 132 Frauen in der Türkei Opfer eines patriarchal motivierten Mordes geworden, 66 von ihnen wurden erschossen. Die Plattform KCDP fordert mit Blick auf diese Bilanz, die türkischen Waffengesetze drastisch zu verschärfen, um die private Bewaffnung einzudämmen. „Der Erwerb von Waffenlizenzen ist in den vergangenen Jahren erleichtert worden, Strafen für illegalen Besitz fallen viel zu gering aus“, kritisiert die Organisation.

Ein Führungszeugnis und ein ärztliches Attest reichen in der Türkei schon aus, um eine Lizenz für eine Waffe zu erhalten. Ein weitaus größeres Problem stellt jedoch der illegale Waffenhandel dar. Der Internethandel mit Waffen blüht förmlich, auch wenn er offiziell verboten ist. Rund 30 Millionen Pistolen und Gewehre gibt es Schätzungen nach in privaten Händen. Allein zwei Millionen gelangten 2017 in Privatbesitz, als die Regierung von Recep Tayyip Erdogan nach dem Pseudoputschversuch 2016 ihre Anhänger indirekt ermutigt hatte, sich gegen „Staatsfeinde“ zu bewaffnen.

Verbotsverfahren gegen KCDP

Die Plattform Kadın Cinayetlerini Durduracağız ist eine türkische Frauenrechtsorganisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Feminizide aufzuklären und diese zu verhindern. In erster Linie setzt sich die Plattform für die Erhaltung des Lebens und für alle Frauenrechte ein. Die Gründerinnen sind Familienangehörige der ermordeten Frauen, Frauen von verschiedenen Parteien, Institutionen, Gewerkschaften, anderen Vereinen, aber auch nicht organisierte interessierte Frauen. Aktuell sieht sich die Organisation einem Verbotsverfahren ausgesetzt, weil sie nach Ansicht der türkischen Verfolgungsbehörden gegen „Gesetz und Moral“ verstoßen würde. Der Prozess gegen KCDP startete am Mittwoch vor einem Istanbuler Strafgericht. Die Verteidigung des Frauenvereins monierte, dass es keine rechtliche Grundlage für das Verfahren gebe und die Anklage aus Polizeiprotokollen bestehen würde. Vermeintliche Beweise gegen Aktivistinnen des Vereins seien „falsch und widerrechtlich“, außerdem hätten drei Inspektionen von der Behörde für Vereinswesen keine „illegalen oder unmoralischen Aktivitäten“ festgestellt. Das Verfahren sei politisch und „aus patriarchaler Motivation heraus“ losgetreten worden, um die Gemüter von despotisch handelnden Männern zu erfreuen und ihre Gewaltherrschaft über Frauen zu begünstigen. Der Prozess wird am 5. Oktober fortgesetzt.