24 Femizide in der Türkei – und kein Ende in Sicht

In der Türkei sind im März mindestens 24 Frauen von Männern ermordet worden, 19 weitere Frauen kamen unter verdächtigen Umständen ums Leben. Die Täter waren meist Ehemänner, Beziehungspartner oder männliche Verwandte.

Mindestens 73 Femizide hat die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) seit Anfang des Jahres in der Türkei gezählt, allein 24 davon im März. Hinzu kommen verdächtige Todesfälle unter Frauen, die von der Organisation mit 68 seit Jahresbeginn angegeben werden. Doch ein Ende der tödlichen Gewalt an Frauen ist nicht in Sicht. „Denn solange der Staat nichts zur Prävention von Femiziden unternimmt und die Justiz die Täter mit zu milden Strafen belohnt, wird das Frauensterben durch Männergewalt weitergehen“, hält KCDP in ihrer monatlichen Femizid-Bilanz fest.

Die Zahlen in dem Bericht, der Daten über alle polizeilich erfassten oder medial veröffentlichten Morde an Frauen enthält, sind dramatisch: In zwölf der 24 Fälle wurden Frauen von Männern ermordet, weil sie ein eigenes Leben führen wollten. Konkrete Anlässe waren hauptsächlich Scheidungswünsche oder die Ablehnung eines Mannes als Lebenspartner. 22 der Femizide wurden von Ehemännern, Lebenspartnern, anderen männlichen Personen aus dem familiären Umfeld oder Expartnern verübt. Nur in zwei Fällen wurden die Frauen von „Unbekannten“ ermordet.

Dass die Hintergründe der Femizide in elf Fällen nicht ermittelt werden konnten, sei laut KCDP darauf zurückzuführen, dass patriarchale Gewalt und Frauenmorde in der Türkei unsichtbar gemacht würden. „Solange nicht festgestellt wird, von wem und warum Frauen ermordet werden, solange es keine fairen Gerichtsverfahren gibt, die Täter keine abschreckenden Strafen erhalten und keine vorbeugenden Maßnahmen angewendet werden, wird die Gewalt weitergehen.“

Rückzug aus Istanbul-Konvention Freibrief für Männer

Die Maßnahmen, die die Frauenplattform einfordert, sind durch die Istanbul-Konvention vorgegeben. Die Übereinkunft des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen besteht aus den drei Säulen: Prävention, Schutz der Opfer und Bestrafung der Täter. Der Vertrag gilt als Meilenstein im Kampf gegen patriarchale Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen sowie die Präventions- und Hilfsangebote durch Gesetze und politische Programme zu verbessern. Dazu gehört auch, einschlägige und genau aufgeschlüsselte statistische Daten über Fälle von allen in den Geltungsbereich der Konvention fallenden Formen von Gewalt zu sammeln. Bis 2021 gehörte die Türkei zu den Mitgliedern der Istanbul-Konvention, zog sich aber auf Geheiß von Recep Tayyip Erdoğan zurück – das Abkommen bedrohe die traditionelle türkische Familie und fördere Scheidungen sowie Homosexualität im Land, hieß es zur Begründung. KCDP bezeichnet diesen Schritt als „Legitimation von Femizid“ und einen Freibrief für Männer, Frauen zu ermorden.

Regierung stärkt patriarchales Fundament der Gesellschaft

Doch auch das eigene Gesetz Nr. 6284 zum Schutz von Frauen und der Sanktionierung von Tätern, das unter anderem ein Annäherungsverbot für Gewalttäter und Schutzmaßnahmen für die Opfer beinhaltet, die von materieller Unterstützung bis zu einer neuen Identität reichen und von Frauenorganisationen in langem Kampf durchgesetzt worden sind, wird nicht effizient durchgesetzt. Stattdessen passiert das genaue Gegenteil: Unter dem Deckmantel sogenannter Traditionen wird eine reaktionäre Ungleichheit der Geschlechter legitimiert und das patriarchale Fundament der Gesellschaft gestärkt – mit dem Ergebnis, dass Frauenhass, Gewaltexzesse an Frauen und Femizide steigen. Die Zahl der Frauenmorde ist zwischen 2015 und 2019 um etwa 60 Prozent gestiegen – von 303 auf 474 Fälle. Und die Corona-Pandemie vergrößerte das Problem. 2020 zählte KCDP 300 Frauenmorde, im vergangenen Jahr wurden 280 Femizide registriert. Die Zahlen über verdächtige Todesfälle unter Frauen beinhalten diese Angaben nicht.

KCDP

Die Plattform Kadın Cinayetlerini Durduracağız („Wir werden Frauenmorde stoppen”, kurz KCDP) ist eine türkische Frauenrechtsorganisation, die Gewalt gegen Frauen erfasst und sich zur Aufgabe gemacht hat, öffentlich über Femizid aufzuklären und diese zu verhindern. In erster Linie setzt sich die Plattform für die Erhaltung des Lebens und für alle Frauenrechte ein. Die Gründerinnen sind Familienangehörige der ermordeten Frauen, Frauen von verschiedenen Parteien, Institutionen, Gewerkschaften, anderen Vereinen, aber auch nicht organisierte interessierte Frauen. KCDP existiert seit 2010 und sitzt in Istanbul.  Zu ihren Kooperationspartnerinnen gehört unter anderem der im kurdischen Amed (Diyarbakir) ansässige Frauenverein Rosa.