„Türkische Justiz fördert Femizide“

Die Anwältin Elif Tirenç Ulaş vom Frauenverein Rosa sieht in den Urteilen der Justiz zu Femiziden eine „Straflosigkeit, die Frauenmorde fördert“. Nur durch organisierten Frauenkampf könne diese Entwicklung gestoppt werden.

Allein am Dienstag wurden vier Femizide aus der Türkei und Nordkurdistan gemeldet. Es vergeht mittlerweile kaum ein Tag ohne solche Verbrechen. Frauenorganisationen sehen ein Kartell aus Polizei-Medien und Justiz am Werk, das durch eine Politik der mangelhaften Prävention, des Victim-Blamings und der Straflosigkeit immer neuen Femiziden den Boden bereitet.


Die Männergewalt ist nicht unabhängig vom Staat zu betrachten“

Im ANF-Gespräch äußert sich die Anwältin Elif Tirenç Ulaş vom Frauenverein Rosa zur patriarchalen Gewalt in der Türkei. Sie unterstreicht, dass Männergewalt aus dem Patriarchat erwächst und sie, ob sie vom Staat ausgeht, von Männern oder gegen ein Individuum gerichtet ist, nicht unabhängig vom System zu betrachten sei. Die Anwältin führt aus: „Die Gerichtsentscheidungen, die zeigen, dass der Staat nicht gegen Gewalt von Männern an Frauen und Femizide vorgeht, haben eine große Wirkung. Eine ebensolche Wirkung haben die fehlende Umsetzung von Abstandsverfügungen und die Strafnachlässe wegen ‚guter Sozialprognose‘ bei Femiziden. Wenn wir all dies betrachten, können wir nicht sagen, dass der Staat seinen Verpflichtungen nachkommt. Diese Politik des Staates breitet sich auch in die Gesellschaft aus. Zum Beispiel ist die Verbreitung von Schusswaffen in der Gesellschaft ein großes Problem. Außerdem wird eine patriarchale Mentalität vom Staat gefördert. Diese Mentalität ist auch in der Gesellschaft alles andere als gebrochen. In dieser Hinsicht muss der Staat gesellschaftlich arbeiten, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft zu fördern. Aber von einer solchen Politik kann gar keine Rede sein. So kann die Gewalt auch nicht gestoppt werden.“

Femizide stehen in Verbindung mit der Politik der AKP“

Ulaş betont, dass die Zahl der Femizide im Vergleich zur Vergangenheit deutlich gestiegen sei: „Ich fürchte, die Zahl fällt nicht unter drei oder vier Femizide pro Tag. Und das ist nur die Anzahl der Morde. Dies ist nicht unabhängig von der Politik der Regierung zu betrachten. Denn anstatt Gewalt gegen Frauen durch ihre Sprache, Politik und Praxis zu verhindern, vertritt die Regierung eine Position, durch die sie Männer in dieser Gesellschaft ermutigt und solche Taten fördert. Während der Staat die Pflicht hat, Gewalt zu verhindern und zu bestrafen, handelt er auf die entgegengesetzte Weise. Er erfüllt seine Verpflichtungen nicht. Wenn solche Handlungen nicht ausreichend bestraft werden, dann entsteht in der Gesellschaft das Gefühl, dass solche Verbrechen begangen werden können, ohne dass eine ernsthafte Strafe zu erwarten sei. Dies zeigt sich dann in der Praxis.“

Frauenkampf sorgt dafür, dass Verfahren nicht eingestellt werden“

Männer begingen ihre Taten in dem Bewusstsein, dass sie höchstens ein paar Monate einsäßen und anschließen wieder freikämen. Durch Frauenwiderstand könne den Tätern aber ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Zum Widerstand gegen Straflosigkeit sagt die Rechtsanwältin Elif Tirenç Ulaş: „Dagegen haben die Frauen nie aufgehört zu kämpfen. Als versucht wurde, die Akte Şule Çet als ‚Selbstmord‘ zu schließen, sorgte der organisierte Kampf der Frauen dafür, dass das Verfahren wieder aufgenommen wurde. In dem Verfahren wurde deutlich, dass es sich um keinen Suizid, sondern um einen vorsätzlichen Mord gehandelt hat. In dieser Situation müssen wir als Frauen individuell und organisiert die Justiz dazu zwingen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Tatsache, dass Morde nicht vertuscht und die Akten nicht geschlossen werden, ist ein Ergebnis der organisierten Kämpfe der Frauen. Natürlich reicht das nicht, denn wir kämpfen gegen ein ganzes System.“