Türkei: Neue Gesetzespakete gegen Frauen

Die HDP-Abgeordnete Züleyha Gülüm sagt, das „fünfte Gesetzespaket“, das sich auf der Tagesordnung der türkischen Regierung befinde, würde Frauen, die Gewalt erfahren, die Scheidung erschweren und Kinder zum Missbrauch verurteilen.

Während die Proteste gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention anhalten, geht das Erdoğan-Regime mit dem „fünften Gesetzespaket“ einen weiteren Schritt in Richtung der Entrechtung der Frauen. Bereits sieben Tage nach dem Austritt aus der Konvention wurde das „Vierte Gesetzespaket“ mit den Stimmen von AKP und MHP verabschiedet. In diesem Paket wurden „konkrete Beweise“ zur Voraussetzung der Inhaftierung in Fällen von sexuellem Missbrauch, Folter und vorsätzlichem Mord gemacht. Dieses Paket wurde bereits als Täterschutzpaket kritisiert, da insbesondere das Kriterium der „konkreten Beweise“ bei patriarchaler Gewalt meist nicht zu erfüllen ist. Nun bereitet das Regime das „Fünfte Gesetzespaket“ vor. Das Paket, das dem Parlament vorgelegt werden soll, zielt auf die Einrichtung von „Versöhnungskommissionen“ ab. Frauenorganisationen und Anwält:innen warnen davor, dass durch die Einrichtung dieser Kommissionen das Leben von Frauen in Gefahr gebracht werde. Die Juristin und HDP-Abgeordnete Züleyha Gülüm äußert sich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya zu dem Gesetzespaket.

Erste Justizreform nahm Gefangenen Rechte weg“

Gülüm zieht eine verheerende Bilanz aus den ersten vier sogenannten Justizreformpaketen: „Durch eine neue Regelung wurden den Gefangenen die Rechte geraubt und Willkürbehandlung ermöglicht. Bewährungen und Freilassungen auf Auflagen werden verhindert. Selbst kranke Gefangene, die am Rand zum Tod stehen, werden nicht freigelassen. Die Gefängnisverwaltungen erhielten viel mehr Kompetenzen. Diese Pakete brachten keine Rechte, sondern haben sie genommen.“

Züleyha Gülüm

Gewalt und Morde werden zunehmen“

Gülüm beschreibt die Angriffe der Gesetzespakete auf Frauen und sagt: „Frauen kümmern sich in der Regel nach der Scheidung um die Kinder. Hin und wieder erhält der Vater das Recht, das Kind zu sehen. Diese Übergabe wird von Polizei, Pädagogen und Gerichtsvollziehern begleitet. Jetzt will man die Begleitung aufheben. Das ist sehr gefährlich. Denn das bringt die Frauen in Lebensgefahr. Die Frauen werden bereits jetzt, trotz Polizei und Vollzugsbeamten, immer wieder gewalttätig angegriffen. Wenn das jetzt auch noch aufgehoben wird, wird die Übergabe der Kinder zu einem gefährlichen Vorgang. Diese Regelung wird zu Morden führen. Denn wenn wir uns die Femizide ansehen, dann werden die meisten von ihnen in oder nach der Trennungsphase begangen. Wenn jetzt die Kontrolle durch Beamte aufgehoben wird, bedeutet das nichts anderes, als den Weg für organisierten Femizid freizumachen.“

Unterhalt soll eingeschränkt werden

Die regimenahe Zeitung Yeni Şafak erklärte, „Unterhaltsopfer“ warteten auf das 5. Gesetzespaket. Mit „Unterhaltsopfern“ sind nicht etwa Frauen und Kinder gemeint, deren Väter sich den Unterhaltszahlungen entziehen, sondern Männer, die Unterhalt zahlen müssen. Gülüm sagt zu diesem Punkt: „Dieses Paket soll die Unterhaltszahlungen reduzieren. Es gibt Diskussionen, die Unterhaltszahlungen sowohl in Zeitraum als auch in der Höhe weiter zu begrenzen. Das tut der Staat auf den Wunsch von ein paar Männern. Der Staat bezieht Stellung an der Seite der Männer.“

Das Ziel der „Versöhnungskommissionen“

Auch die „Versöhnungskommissionen“ spricht die Politikerin an: „Hier geht es um Vermittlung und Versöhnung. Das betrifft die Frauen. Bevor es zu einem Verfahren kommt, sollen die Frauen dazu gebracht werden, einen gewalttätigen Ehemann zu akzeptieren und sich mit ihm zu versöhnen. Es ist eigentlich ein Zwangsmechanismus. In dieser Situation wird der Frau, die eben nicht die gleichen Rechte wie der Mann hat, aufgezwungen, die Bedingungen der Gegenseite zu akzeptieren. Das ist eine Entwicklung, die ein faires Verfahren verhindern wird.“

Scheidung wird erschwert“

Gülüm warnt, dass das Gesetz 6284 ebenfalls aufgehoben werden könne. Dort geht es um die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen. So könnten die Frauen bald jeglicher patriarchaler Gewalt ausgesetzt sein. Gülüm fährt fort: „Die Regierung versucht es Frauen, die Gewalt erfahren, schwerer zu machen, sich scheiden zu lassen. Es wird versucht, sie zur Ehe zu verurteilen. Es wird Schritt für Schritt eine Ordnung geschaffen, die Frauen und Kinder zu einem Schicksal in Gewalt verurteilt.“ Auf diese Weise versuche das Regime, seine Existenz zu sichern. „Wir befinden uns in einem Prozess der Institutionalisierung des Faschismus. Die Übertragung von so viel Geld an die Religionsbehörde Diyanet ist eigentlich ein deutlicher Hinweis darauf, wie das Regime aussehen wird. Dieses Regime lässt Frauen keinen Freiraum. Der Frauenbereich ist immer der erste Sektor der Gesellschaft im Visier von autoritären Regimen.“

Gemeinsamer Kampf

Gülüm schließt mit den Worten: „Wir werden gemeinsam Haltung gegen dieses Gesetzespaket beziehen und unseren Widerspruch vereinen. Die Regierung will eine Amnestie für Männer erwirken, die wegen Vergewaltigung von Kindern angeklagt sind. Wir haben protestiert, und sie mussten den Entwurf zurücknehmen. Alle Frauen müssen gemeinsam Haltung gegen dieses Paket beziehen.“