Bericht von Anwaltskammer und ÖHD
Die Rechtsanwaltskammer in Amed (tr. Diyarbakır) und der Juristenverein ÖHD haben einen umfassenden Bericht über schwerwiegende Rechtsverletzungen während der diesjährigen Newroz-Feier in der kurdischen Metropole am 21. März veröffentlicht. In dem Report werden zahlreiche Fälle von Misshandlungen, Diskriminierung und willkürlichen Maßnahmen durch die türkische Polizei und weitere Einsatzkräfte dokumentiert. Beide Organisationen fordern eine unverzügliche juristische Aufarbeitung und Untersuchungen gegen die verantwortlichen Beamt:innen.
Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und kulturelle Diskriminierung
Wie im Bericht festgehalten, seien insbesondere an den Eingangsbereichen zum Festgelände Frauen entwürdigenden Kontrollen ausgesetzt gewesen. Teilweise hätten Polizist:innen verlangt, Kleidungsstücke wie Blusen zu öffnen oder Schuhe auszuziehen. Diese Durchsuchungen seien in ihrer Intensität über das übliche Maß hinausgegangen und hätten einen belästigenden Charakter angenommen.
Ein zentrales Thema des Berichts ist der Umgang der Polizei mit traditioneller kurdischer Kleidung in den Farben Grün, Rot und Gelb. Zahlreichen Besucher:innen in Şal û Şepik – eine traditionelle Kleidungskombination aus Pluderhose und Hemd – oder den Frauentrachten Kiras û Fistan sei der Zutritt mit der Begründung verweigert worden, es handele sich um „Kampfkleidung“. In mehreren Fällen hätten Sicherheitskräfte diese Kleidungsstücke als Vorwand für Festnahmen genutzt.
Besonders besorgniserregend: Auch Kinder, die traditionelle Kleidungsstücke oder Symbole trugen, seien fotografiert und teilweise festgenommen worden. Gäste, die erklärten, dass diese Symbole keinerlei strafrechtliche Relevanz hätten, seien beschimpft und schlecht behandelt worden.
Systematische Freiheitsberaubung und Verstoß gegen Versammlungsfreiheit
Auch Vertreter:innen der Presse, kommunale Amtsträger:innen und Gäste aus dem Ausland seien willkürlichen Durchsuchungen und Schikanen ausgesetzt gewesen. Kameras und persönliche Gegenstände seien als Vorwand genutzt worden, um den Zutritt zum Veranstaltungsgelände zu verweigern. Selbst Trinkflaschen für Babys und Kinder seien beschlagnahmt worden.
Die Organisationen berichten von massenhaften Festnahmen: Rund 200 Personen seien am Veranstaltungstag in Polizeifahrzeugen stundenlang festgehalten oder ohne ordnungsgemäße Protokollierung in Polizeigewahrsam gebracht worden. Einige seien erst am Folgetag in den frühen Morgenstunden wieder freigelassen worden. In mehreren Fällen sei Anwält:innen der Zugang zu ihren Mandant:innen verweigert worden – ein klarer Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Zudem seien Besucher:innen mit der Ala Rengîn – der kurdischen Nationalfahne, die offizielle Flagge der Kurdistan-Region im Irak (KRI) ist, oder mit Fußballtrikots regionaler kurdischer Vereine gezielt kontrolliert oder festgenommen worden. Die Polizei habe versucht, kurdische kulturelle Symbole systematisch zu kriminalisieren, so der Bericht.
Juristische Schritte gefordert
Die Anwaltskammer Amed und der ÖHD sehen durch die beschriebenen Ereignisse insbesondere das Recht auf friedliche Versammlung sowie das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung verletzt. In ihrem Bericht fordern sie, dass der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) unverzüglich Ermittlungen gegen beteiligte Staatsanwält:innen einleitet, die ihren Kontrollpflichten nicht nachgekommen seien. Zudem fordern die beiden Organisationen disziplinarische und strafrechtliche Maßnahmen gegen die beteiligten Polizeibeamt:innen. Die dokumentierten Misshandlungen und Diskriminierungen stellten schwere Verstöße gegen nationale und internationale Menschenrechtsstandards dar.
Kurdisches Neujahrsfest als Gefahr für die Sicherheit
Newroz ist das kurdische Neujahrsfest und hat neben seiner kulturellen auch eine symbolisch-politische Bedeutung. In der Vergangenheit kam es in der Türkei wiederholt zu Spannungen zwischen türkischer Polizei und feiernden Kurd:innen, in den 1990er Jahren verübten Armee und Paramilitärs sogar Massaker.
Titelfoto © Medine Mamedoğlu