Kolber: Leben am Rand des Todes

Kurdische Lastenträger leben mit der Todesgefahr. „Um uns vor Folter und Tod zu retten, müssen wir vier bis fünf Hinterhalte überwinden“, erklärt der Kolber M.S.

Die Kolber leben davon, Lasten über die gefährlichen Grenzen in Kurdistan zu bringen. Dabei handelt es sich vor allem um Zigaretten, Handys, Decken, Haushaltswaren, Tee und selten auch Alkohol. Die Wege über die abgeschotteten Grenzen der Nationalstaaten, die Kurdistan für sich beanspruchen, sind mindestens ebenso lebensgefährlich für die Kolber wie die Arbeit unter Hochgebirgsbedingungen. Das iranische Militär, die „Revolutionsgarde“ (Pasdaran) und die türkische Armee legen immer wieder Hinterhalte an und töten Kolber. Der Kolber M.S. berichtet ANF über sein Leben und seine Arbeit.

M.S. gibt an, dass vom ostkurdischen Tete-Gebiet aus Südkurdistan in eineinhalb Stunden Fußmarsch erreichbar sei. Von dort werden vor allem Fernsehgeräte, Pakete und Zigaretten in den Iran gebracht. Der Rückweg mit den Waren dauert etwa vier Stunden. Die leichteste Last beträgt auch für körperlich schwache Kolber 30 Kilogramm und kann bis zu 45 bis 50 Kilogramm reichen. Auf Routen, auf denen es keine Hinterhalte durch das Militär gibt, liegt das Gewicht bei 50 Kilogramm. Im Falle von Hinterhalten liegt das Gewicht zwischen 25 und 35 Kilogramm. Im Falle eines Hinterhalts kann es sein, dass Kolber sich zehn Stunden im Gelände verstecken müssen.

Folter oder Tod durch Sicherheitskräfte

Die Mehrheit der Kolberrouten läuft durch den Süden von Ostkurdistan. An Orten wie Ilam, Kirmaşan, Loristan und Ûrmiye wie auch in Sinê, Hewraman und Serdeşt gibt es sehr viele Kolber. M.S. aus Merîwan berichtet, was Kolbern droht, wenn sie den Pasdaran in Falle gehen: „Wenn jemand in den ersten Momenten eines Hinterhalts geschnappt wird, dann werden diese Kolber schwer gefoltert, beleidigt und ihnen wird alles angetan, was man sich nur vorstellen kann. Dann verlangen sie, dass sie ihre Last wieder auf den Rücken nehmen und sie zum Stützpunkt bringen. Natürlich ist das nach der Folter viel schwieriger. Wenn man seine Last niederlegt und abhaut, dann fällt ihnen die Ware in die Hände. Manchmal verbrennen sie das, was sie nicht auf den Stützpunkt bringen können. Manchmal fangen sie schon an der Grenze an zu schießen, so dass die Kolber nach Südkurdistan zurückkehren müssen.“

Vier bis fünf Hinterhalte auf einer Route

M.S. berichtet, dass die iranischen Soldaten teilweise sogar zwei oder drei Kilometer auf südkurdisches Territorium vordringen und dort Hinterhalte legen. „Wenn wir diesen Hinterhalt überwinden, dann sind wir in Rojhilat. Die Grenzwächter haben wieder ihre eigenen Hinterhalte und die Pasdaran ebenfalls. Immer wieder eröffnen sie willkürlich das Feuer. Da sind manchmal Familien, die Picknick machen. Also es können auch andere Menschen als wir da sein. Aber das interessiert sie nicht. Sie schießen wild um sich. Bis wir unseren Bestimmungsort erreichen, müssen wir vier bis fünf Hinterhalte überwinden“, erklärt er.

Die Bedingungen werden immer schwerer

M.S. spricht über die Schwierigkeiten des Lebens als Kolber und sagt: „Früher mussten wir nicht so weit laufen. Manche Orte waren zehn Minuten entfernt, andere zwanzig. Aber der Staat hat dort Mauern errichtet. Jetzt können wir die einfachen Routen nicht mehr benutzen. Der Region Tete ist bergig und zerklüftet. Es gibt tiefe Schluchten. Immer wieder stürzen Kolber, die vor den Hinterhalten fliehen, und brechen sich Hände und Beine. Manche stürzen ab und sterben.“

Keine andere Wahl, als das Leben zu riskieren

Gefragt nach den Gründen, warum er Kolber sei, antwortet M.S.: „Wir müssen das machen, um zu überleben. Wir haben Kinder. Manchmal haben wir nicht einmal Brot zu essen. Wir leben in einer krisenhaften Situation, aber sie erlauben uns nicht einmal, Kolber zu sein. Alle Kolber sind arm. Sie stecken knietief in Arbeitslosigkeit. Der Staat hat keine Projekte für Arbeitslose. Die Armen müssen als Kolber arbeitet und wenn sie es tun, dann werden sie von der Regierung getötet.“