Karayilan: Sie werden es bereuen

„Wir haben versprochen, alle Errungenschaften des kurdischen Volkes zu verteidigen, und daran halten wir uns“, erklärt Murat Karayilan, Kommandant des HPG-Hauptquartiers, in einem Grußwort zum Jahrestag des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK.

Mit einem Grußwort aus den Medya-Verteidigungsgebieten hat sich Murat Karayilan, Kommandant des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG) zum Jahrestag des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK am 15. August 1984 an die Öffentlichkeit gewandt. Wir veröffentlichen die Botschaft nachfolgend in deutscher Übersetzung:

„Mit Respekt grüßen wir euch aus den Bergen Kurdistans und drücken unsere Glückwünsche zum Tag der Wiederbelebung des kurdischen Volkes aus. Am 36. Jahrestag des Guerillavorstoßes vom 15. August gratulieren wir dem kurdischen Volk, allen Völkern des Mittleren Ostens, allen Genossinnen und Genossen, unseren Mitarbeitenden und Sympathisant*innen. Wir wünschen euch allen viel Erfolg im bevorstehenden Kampfjahr. Im Namen aller unserer Freundinnen und Freunde beglückwünschen wir Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und bringen unsere Verbundenheit und unseren Respekt ihm gegenüber zum Ausdruck.

Diese erhabenen Tage wurden dank der Bemühungen von Rêber Apo und der Opfer unserer selbstlosen Gefallenen erreicht. In der Person des Genossen Mahsum Korkmaz – dem legendären Kommandanten Egîd – gedenken wir der Gefallenen der Revolution Kurdistans, die diese Tage mit ihrem Blut besiegelten. Wir neigen unsere Köpfe in der Erinnerung an sie, und wiederholen das Versprechen, das wir ihnen gaben: Wir werden ihre Waffen nicht am Boden lassen, ihre Ideale erreichen und die Erinnerung an sie mit einem freien Vorsitzenden und einem freien Kurdistan lebendig halten.

Beileidsbekundung an das irakische Volk

Am 11. August ereignete sich in der Bradost-Region ein brutaler Angriff auf die Grenzschutzkräfte der irakischen Armee. Bei diesem Angriff ist unser Kommandant und geschätzter Genosse Agit Garzan (Murat Kalko) gefallen. Unser Freund Agit leistete in den Bergen Kurdistans fast 28 Jahre lang auf vielfältige Weise Widerstand für sein Volk, nahm am Krieg teil, wurde viermal verwundet, und brachte große Opfer. Auch die irakischen Kommandanten Zubair Hali und Mohammed Rushdi Sulaiman fielen bei diesem Angriff. Zwei irakische Soldaten wurden verletzt. Wir sprechen den Familien aller drei Kommandanten, den Völkern Kurdistans und des Iraks sowie der irakischen Regierung unser Beileid aus. Wir sind fest davon überzeugt, dass das vergossene Blut nicht ungesühnt bleibt und auf den Angriff Vergeltung folgt.

Dieser Angriff galt der irakischen Armee. Die Armee des Iraks hatte unsere Freunde eingeladen. Der Anschlag erfolgte, als sich beide Seiten im selben Fahrzeug befanden, und fand nicht in einem Gebiet unter unserer Kontrolle statt, sondern an dem Treffpunkt, den die irakische Armee ausgewählt hatte. Insofern richtete sich dieser Angriff direkt gegen die irakische Armee, die bombardierten Fahrzeuge waren mit irakischen Fahnen gekennzeichnet. Der Angriff war beabsichtigt.

Die Führer der Autonomen Region Kurdistans äußerten mehrmals, die PKK und der türkische Staat würden ihren Krieg nach Südkurdistan tragen. In Bezug auf den Angriff auf die irakische Armee kann von einem Vorfall im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen nicht die Rede sein. Es gab eine Zusammenkunft, auf die ein Angriff folgte. Solche Aussagen entsprechen nicht der Wahrheit. Auch Behauptungen wie ‚Die PKK geht zur Grenze, greift die türkische Armee an und flüchtet nach Südkurdistan‘ treffen absolut nicht zu. Seit drei bis vier Jahren setzt die türkische Besatzerarmee konkrete Schritte in Richtung einer Annexion südkurdischen Territoriums. Den Krieg haben also nicht wir hierhergetragen, sondern die Besatzer. Sie greifen an und besetzen die Gebiete Südkurdistans.

Verteidigung der Errungenschaften des kurdischen Volkes

Der Krieg in Heftanîn, Xakurke und in der Zap-Region findet statt, weil wir in Nordkurdistan kämpfen. Wir haben versprochen, alle Errungenschaften des kurdischen Volkes zu verteidigen, und daran halten wir uns. Der Feind dringt vor unser aller Augen hier ein, besetzt Gebiete, baut [Militär-]Straßen und lässt sich dauerhaft nieder. Das ist es, wogegen wir kämpfen. Wir verteidigen die Errungenschaften des Volkes in Südkurdistan, das Volk Kurdistans und die Territorien des Iraks.

Nur unter der Voraussetzung, dass sich die türkische Besatzerarmee aus irakischem Territorium und Südkurdistan zurückzieht und ihre Angriffe einstellt, sind wir bereit, keine Maßnahmen an der Grenze zu ergreifen. Das, was wir tun, ist ein nationaler Widerstand gegen die türkische Besatzung. Jeder sollte sich dieser Situation und Realität bewusst sein. Wenn der seit zwei Monaten in Heftanîn ausgetragene Krieg gegen die türkische Invasion nicht existieren würde, wären jetzt vermutlich weite Teile des Grenzgebiets besetzt worden. Unsere Verteidigung ist ein legitimer Widerstand. Es findet ein Angriff auf das Territorium Kurdistans statt, auf den mit einer widerständigen Haltung reagiert wird – stellvertretend für uns alle.

15. August ist ein Garant der kurdischen Existenz

Der Vorstoß vom 15. August verhinderte die Auslöschung der Bevölkerung Nordkurdistans und brachte das kurdische Volk hervor. Der türkische Kolonialismus wollte unser Volk vernichten und Kurdistan als Zentrum des Fundamentalismus etablieren. Durch den 15. August jedoch wurde Kurdistan zum Dreh- und Angelpunkt des Befreiungskampfes, der Demokratie und der Frauenbefreiung. Er erzeugte ein Nationalbewusstsein bei der Gesellschaft und sicherte die kurdische Existenz. Dieser Vorstoß ebnete aber nicht nur im Norden den Weg zu Entwicklungen, sondern trieb in Westkurdistan die Organisierung voran. Wenn es den 15. August nicht gegeben hätte, insbesondere die Guerillakriege in den Jahren von 1988 bis 1991, hätte sich unser Volk in Südkurdistan nach den Massakern von Anfal und Helebce nicht erholen können. Gleiches gilt auch für Ostkurdistan.

Die kurdische Gesellschaft ist nicht nur viergeteilt – die Aufspaltung ist breitgefächert. Die verschiedensten Glaubensrichtungen, Religionen, Dialekte, Stämme und Regionen bilden gleichermaßen den Kern dieser Spaltung. Der 15. August löste eine Defragmentierung aus. Auf Grundlage der Maxime Rêber Apos – ‚Zuerst die Nation, dann Religion und Dialekte‘ – erschuf dieser Vorstoß einen nationalen Geist und entwickelte eine nationale Strategie, die die Hand des kurdischen Volkes im Mittleren Osten gestärkt hat. Auf Grundlage dieser Strategie war es unserem Volk möglich, gegen den Faschismus des sogenannten IS, einer Plage der gesamten Menschheit, zu kämpfen und eine maßgebliche Rolle beim Ende seiner Herrschaft zu spielen. Das kurdische und das arabische Volk haben gemeinsam den IS besiegt. Damit manövrierte sich das kurdische Volk als ernstzunehmender Akteur auf die internationale Bühne. Das ist Fakt. Die Einflüsse vom 15. August und der Freiheitsguerilla Kurdistans sind in dieser Hinsicht nicht diskutabel.

Niederlage gegenüber Guerilla führt zu Chaos und Krisen

Seit sechs Jahren baut der türkische Kolonialismus mit Unterstützung des Gladio-Bündnisses der NATO seine Kriegstechnologie aus. Insbesondere nach der Errungenschaft unbemannter Kampfdrohnen dachten sich die Besatzer: ‚Damit kann ich die Guerilla liquidieren und sogar die Gebiete innerhalb der alten Grenzen des Osmanischen Reiches zurückholen‘. Erdoğan persönlich setzte seine Unterschrift und schwärmte von einer Drohnenmacht. Auf eben diese Weise findet seit sechs Jahren ein Krieg gegen uns statt. Rêber Apo wurde eine erschwerte Isolation auferlegt. Auf die kurdisch-türkische Demokratiepolitik wird enormer Druck ausgeübt, es kommt zu Verhaftungen, ein Vernichtungsfeldzug findet statt. Unser Volk trifft faschistische Repression, während die Freiheitsguerilla überall in Kurdistan umfassend angegriffen wird, um sie zu vernichten. Es wurden sogar konkrete Zeitpläne für die Vernichtung genannt.

Das Resultat von heute: Es ist ihnen nicht gelungen, sie wurden besiegt. Aus diesem Grund herrscht Chaos im faschistischen System der AKP und MHP, die Krise hat sich verschärft. Wären sie uns gegenüber erfolgreich gewesen, hätten sie diese Krise nicht erleben müssen. Aber die Niederlage stürzte sie in ein tiefes Chaos. Das genozidale und faschistische Regime kann heute nur noch durch Kriege überleben. Durch das Verstärken nationalistisch-chauvinistischer Gefühle der Gesellschaft will dieses Regime die Existenz seines auf Krieg ausgelegten Systems aufrechterhalten und verfestigen. Wenn das Regime mit dem Krieg gegen uns nicht den gewünschten Effekt erzielt, wird die Kriegspolitik jenseits der eigenen Grenzen verfolgt. Es greift Syrien, den Irak und Libyen an, treibt seine Spiele auf dem Rücken der arabischen Völker, wendet eine Verfolgungspolitik an. In diesen Tagen hat dieses Regime im Mittelmeer einen Konflikt mit Griechenland ausgelöst.

Eine neue Guerilla entwickelt sich

Der türkische Faschismus versucht sich mit Kriegen und Unterdrückung über Wasser zu halten, aber seine Zeit neigt sich dem Ende entgegen. Die kurdische Freiheitsguerilla hat sich dutzende Male bewährt und bewiesen, dass sie nicht besiegt werden kann, und wird den Weg zum Sieg ebnen. Denn die Guerilla Kurdistans hat den Anspruch, auf der Grundlage der Philosophie von Rêber Apo eine neue Guerilla zu schaffen. Ihre Praxis reflektiert das Ziel, eine Guerilla der demokratischen Moderne zu entwickeln, bereits mit kreativen Wegen und Methoden. Indem sie bestehende Defizite beseitigt, wird sie nichts aufhalten können, die Guerilla des Sieges und des Erfolges zu sein.

Seit zwei Monaten wird in Heftanîn Widerstand geleistet. Die bewaffneten und unbemannten Aufklärungsflugzeuge, die die Besatzer gerne als „legendär“ bezeichnen, wurden in Heftanîn zu Schutt und Asche. Alle ihre Kräfte dort sitzen fest, es findet ein Krieg statt. Unsere Bitte an unser Volk, insbesondere das im Süden, an das arabische und irakische Volk ist, dass sie uns unterstützen. Wir sind entschlossen, diesen Feind zu besiegen. In Heftanîn haben wir sie in eine Schockstarre versetzt, sollten sie in die Zap-Region kommen, werden wir sie unter den Boden katapultieren. Meine Worte sind nicht einfach daher gesagt, wir haben 36 Jahre Kampferfahrung. Wir wissen nur zu gut, wie wir ihre Technik vereiteln, durch Taktik, Stil und Technik unseren Kampf am Boden bereichern und auf welche Weise wir in unterirdischen Tunneln zu kämpfen und zu gewinnen haben. Die Phase ist heikel, aber die Guerilla wird ihrer Rolle gerecht werden. Dies ist der Punkt, den wir am 36. Jahrestag unseres Vorstoßes klar und deutlich benennen. Daneben sollte auch unser Volk seiner Rolle gerecht werden. Wir richten uns nach der Perspektive von Rêber Apo – der Realität eines Volkskrieges. Unsere Bevölkerung, die Frauen und die Jugend haben Pflichten, die erfüllt werden müssen.

Jede Aktion in Europa hat politische und diplomatische Wirkung

Zu seinem 36. Jubiläum wollen wir den 15. August wiederaufleben lassen. In Europa finden Proteste unseres Volkes statt, die wichtig sind. Dass das CPT jüngst erklärte, dass auf Imrali Isolation herrscht, stärkt die Grundlage und Legitimität des dortigen Widerstands. Jede Aktion in Europa hat Auswirkungen auf die Politik und Diplomatie. Ganz gleich ob im Inland oder Ausland: Solange die Menschen, die ihre Heimat lieben, die Frauen und die Jugend ihrer Rolle gerecht werden, den Volkskrieg ausweiten, ein Bündnis mit dem arabischen Volk bilden, solange sich das kurdische und arabische Volk gegenseitig unterstützen, kann die chauvinistische Welle des AKP/MHP-Regimes durchbrochen werden.

Im neuen Kampfjahr wird unser Widerstand noch heißer, auf den Spuren von Egîd und dem ersten Schuss noch moderner, hin zu einer Kraft des Sieges. Wir gedenken aller unserer selbstlosen Gefallenen der Revolution, vom ersten Egîd bis zum letzten, von Şehîd Zekî Şengalî bis Erdal [Engin Sincer] und Atakan Mahir. Wir feiern ein weiteres Mal den Tag der nationalen Wiederbelebung, wünschen allen wärmstens viel Erfolg und sagen: Es lebe der 15. August! Es lebe Rêber Apo.“