Die Familie von Jina Mahsa Amini befindet sich in der ostkurdischen Stadt Seqiz (Saqqez) offenbar unter Hausarrest - seit zwei Tagen. Das berichten verschiedene Medien unter Berufung auf Angehörige. Betroffen davon sind die Eltern Aminis und ihr Bruder. Die Begründung ist bislang noch nicht bekannt, vermutet wird jedoch ein Zusammenhang mit der Trauerfeier am Mittwoch. Trotz verstärkter Polizeipräsenz waren unzählige Menschen auf den Friedhof in Seqiz geströmt, um den 40. Tag seit dem gewaltsamen Tod der 22-Jährigen in Polizeigewahrsam zu begehen.
Im Islam wird nach dem Tod eines Familienmitglieds traditionell 40 Tage lang getrauert. Iranische Sicherheitskräfte hatten Menschenrechtsgruppen zufolge Aminis Eltern unter Drohungen aufgefordert, keine Zeremonie auf dem Friedhof abzuhalten. Andernfalls müssten sie „um das Leben ihres Sohnes fürchten“. In einer am Dienstagabend von der staatlichen Nachrichtenagentur Irna veröffentlichten Erklärung, die der Familie zugeschrieben wurde, hieß es dann, dass es „in Anbetracht der Umstände und um unglückliche Probleme zu vermeiden, keine Zeremonie“ geben werde, „die den 40. Tag (nach dem Tod) unseres Lieblings markiert“.
Trotzdem pilgerten rund 100.000 Menschen am Mittwoch auf den Friedhof in Seqiz, um Amini zum Ende der traditionellen Trauerzeit Respekt zu erweisen. Viele von ihnen skandierten „Jin Jiyan Azadî“, „Tod dem Diktator“ und „Kurdistan wird das Grab der Faschisten sein“. Polizei und Sicherheitsbehörden hatten viele Straßen in der Stadt abgeriegelt, die Schulen waren geschlossen – offiziell wegen einer Grippewelle. Im Anschluss zog die Menschenmasse in das Stadtzentrum von Seqiz, Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und verschossen scharfe Munition. Nach Angaben der kurdischen Menschenrechtsgruppe Hengaw wurden dutzende Menschen festgenommen, aus „Sicherheitsgründen“ kappten die Behörden das Internet in der Stadt.
Massive Proteste zum Ende der Trauerzeit hatten auch in vielen weiteren Orten stattgefunden. Etwa ein Dutzend Demonstrierender soll seitdem in Ostkurdistan von Regimetruppen erschossen worden sein, unter anderem in Mahabad, Bane und Sine (Sanandadsch). Viele der Opfer wurden am Donnerstag bei Beerdigungen von Demonstrierenden getötet, die bei den 40-Tage-Feiern ums Leben gekommen sind. Unter allen Todesopfern seit Beginn der Revolte Mitte September, deren Zahl von verschiedenen Menschenrechtsgruppen auf bis zu 400 geschätzt wird, befinden sich laut Hengaw mindestens 50 Kurdinnen und Kurden.