Halise Aksoy: „Meine Tochter, beuge dich ihnen nicht!“

Warum der kurdische Befreiungskampf nicht besiegbar ist, zeigt die Geschichte von Halise Aksoy, bekannt als die „Mutter mit der Kiste“. Bei ihrer Verhaftung in Amed sagte sie zu ihrer ebenfalls inhaftierten Tochter: „Beuge dich ihnen nicht!"

Im Zuge der Operationen gegen die kurdische und linke Opposition im Vorfeld der Wahlen in der Türkei sind in den letzten Wochen Hunderte Menschen als vermeintliche Terrorist:innen festgenommen worden, über sechzig Personen wurden wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK verhaftet. Eine von ihnen ist Halise Aksoy. Die Kurdin ist Mitglied der Friedensinitiative „Mütter mit weißen Kopftüchern“. Bekanntheit über die Grenzen Kurdistans hinaus erlangte sie im Frühjahr 2020, als ihr die sterblichen Überreste ihres Sohnes, dem Guerillakämpfer Agit Ipek (Nom de Guerre: Kemal Berxwedan), per Postzustellung in einer Kiste ausgehändigt worden waren. Auch Aksoys Tochter Mizgin Karataş ist inhaftiert worden. Als die Polizei die Familienwohnung in Amed (tr. Diyarbakir) stürmte, wurden deren Ehemann Harun Karataş und ihr vierjähriger Sohn Çiya ebenfalls abgeführt. Einen Tag später wurde Çiya Verwandten übergeben, Harun Karataş wurde nach drei Tagen in Polizeigewahrsam unter richterlichen Meldeauflagen freigelassen. Halise Aksoy und ihre Tochter Mizgin sind seitdem im Frauengefängnis Diyarbakir.

Die Lebensgeschichte von Halise Aksoy steht symbolisch für den kurdischen Existenzkampf. Sie wurde im Dorf Tizyan (Elmabahçe) in der Provinz Mêrdîn (Mardin) in einer neunköpfigen Familie geboren und hatte acht Kinder. Die Familie war schon früh mit staatlicher Unterdrückung konfrontiert und zog 1993 nach Amed, weil sie sich nicht als „Dorfschützer“ für den türkischen Staat betätigen wollte. Ihr Haus im Dorf wurde von Soldaten niedergebrannt.
1996 zog die Familie nach Istanbul, wo sie weiter unter Druck gesetzt wurde. Halise Aksoys Sohn Agit wurde trotz seines jungen Alters wiederholt festgenommen und gefoltert. Im Jahr 2010, als er erst 15 Jahre alt war, verließ er sein Zuhause und kehrte nie wieder zurück. Şinda, die jüngste Tochter, folgte später ihrem Bruder und ging zur Guerilla in die Berge. Die Familie zog zurück nach Amed und Agit kam 2017 im Befreiungskampf ums Leben. In den folgenden Jahren suchte Halise Aksoy den Leichnam ihres Sohnes, bis ihr die sterblichen Überreste vor drei Jahren in einer per Fracht verschickten Kiste ausgehändigt wurden.

Im Dezember 2020 wurde eine Razzia in der Wohnung von Halise Aksoy durchgeführt, bei der Fotos ihrer Kinder beschlagnahmt wurden. Später, am 4. März 2022 und unmittelbar danach, am 18. Mai 2022, wurde Halise Aksoy gewaltsam festgenommen und nach einiger Zeit wieder freigelassen. Am 25. April dieses Jahres wurde die Wohnung erneut durchsucht. Von der Razzia berichtete Halise Aksoys Schwiegersohn Harun Karataş, dass die Familienwohnung um sechs Uhr morgens von uniformierten und zivilen Polizisten gestürmt wurde. „Sie haben uns nur aufgrund einer Zeugenaussage festgenommen. Das unrechtmäßige Verhalten des Staates ist uns nicht fremd“, erklärte der 37-Jährige gegenüber MA.

Harun Karataş mit seinem vierjährigen Sohn Çiya

Sein Sohn Çiya frage ständig nach seiner Mutter, berichtete Karataş: „Mein Vater ist dem kurdischen Freiheitskampf beigetreten, als ich dreieinhalb Jahre alt war. Ich kenne die psychische Verfassung meines Sohnes von mir selbst. Ich sehe mich selbst in Çiya, und ich war jünger als er, als mein Vater ging. Für Çiya ist es unerträglich, dass seine Mutter nicht da ist. Er fragt immer wieder nach ihr, und ich erzähle ihm, dass sie im Krankenhaus ist und bald nach Hause kommt. Çiya hat jedoch gesehen, wie sie in das Gefängnisfahrzeug gebracht wurde.“

Karataş sagte, dass er arbeiten müsse, um für seine Familie zu sorgen: „Çiya kann nicht ohne seine Mutter bleiben. Außerdem arbeite ich. Ich werde meinen Sohn zu seiner Mutter schicken müssen. Mizgin will ihren Sohn auch bei sich haben. Als Mutter Halise verhaftet wurde, gab sie ihrer Tochter eine Botschaft mit auf den Weg: ,Beuge dich ihnen nicht!'. Sie sagt, dass sie auf diese Weise im Gefängnis Widerstand leisten wird. Das ist auch eine Botschaft für uns, die wir draußen sind. Wir haben in diesem Kampf alles erlebt und wir wissen, dass wir uns niemals beugen werden.“

Halise Aksoys Anwalt Necat Çiçek erklärte, dass seine Mandantin aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen verhaftet wurde: „Die Anschuldigung gegen Halise Aksoy stützt sich auf die Aussagen von Ümit Akbıyık und die Nutzung ihres Hauses als ,Unterschlupf'. Auch die Telefongespräche von Mutter Halise mit Journalisten wurden als Straftatbestand aufgeführt. Als der Haftbefehl gegen sie verlesen wurde, rief sie ,Bijî Kurdistan!'. Sie sagte zu ihrer Tochter Mizgin: ,Lass dich nicht unterkriegen'.“ Ihm gegenüber habe Halise Aksoy erklärt, dass sie im Gefängnis Bücher lesen und sich bilden werde, „um ihnen noch mehr Ärger zu machen".