In der Türkei sind innerhalb eines Monats fast 300 kurdische und linke Oppositionelle festgenommen worden. Das gab Nuray Özdoğan als Ko-Sprecherin der Rechts- und Menschenrechtskommission der HDP heute auf einer Pressekonferenz in der Parteizentrale in Ankara bekannt. Die Politikerin wies auf den Zusammenhang mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai hin und erklärte, dass die Regierung alle Andersdenkenden als Terroristen klassifiziere.
„Die Operationen der von der AKP gesteuerten Justiz und Strafverfolgungsbehörden gegen die HDP und alle Oppositionellen haben im Vorfeld der Wahlen zugenommen“, sagte Özdoğan und informierte über jüngsten Massenfestnahmen und Angriffe:
4. März: Zwölf HDP-Mitglieder in Riha (tr. Urfa) festgenommen
4. März: 16 Festnahmen in Istanbul, darunter Mitglieder der HDP-Jugend
25. April: 143 Festnahmen bei einer landesweiten Operation, darunter zwei Mitglieder des HDP-Vorstands, 25 mit der Sicherheit der Wahlen betraute Anwältinnen und Anwälte sowie weitere im Wahlkampf aktive Personen. Nach einigen Betroffenen wird weiterhin gefahndet, etwa fünfzig Personen, darunter fünf Anwält:innen und vier Journalist:innen, wurden verhaftet. Bei Protesten gegen die Repression wurden Dutzende Menschen festgenommen. Rechtsanwält:innen wurde 24 Stunden lang die Kontaktaufnahme zu ihren Mandant:innen verboten.
26. April: Kandidatin der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti) in Kocaeli verhaftet.
27. April: Zahlreiche Festnahmen nach einer Wahlkundgebung in Mûş
29. April: Polizeiangriff auf Wahlkampfkonvoi der HDP in Ankara, drei Personen, darunter der Rechtsbeistand der HDP, von Polizisten verprügelt
29. April: 19 Personen, darunter zwei Journalist:innen und HDP-Mitglieder, im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Ankara festgenommen. Gegen die Journalist:innen und drei weitere Personen wird am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, Haftbefehl erlassen
30. April: Verhaftung von fünf HDP-Mitgliedern in Gebze
30. April: 23 Sozialist:innen in Eskişehir, Istanbul und weiteren Städten festgenommen, darunter Şahin Tümüklü, Ko-Vorsitzender der HDP-Mitgliedspartei ESP, Parlamentskandidat:innen der Grünen Linkspartei, und eine Journalistin. Gegen sieben Betroffene ergeht Haftbefehl
1. Mai: Polizeilicher Angriff auf Parlamentskandidat:innen Ömer Faruk Gergerlioğlu und Arzu Eylem Kayaoğlu während des Wahlkampfs in der Provinz Kocaeli
2. Mai: 32 Personen festgenommen, darunter Mitglieder der HDP, des HDK und der HDP-Jugend
2. Mai: Angriff auf Wahlkampfstand in Edirne, der Parlamentskandidat Serdal Zimba und zwei weitere HDP-Mitglieder werden verletzt
295 Festnahmen, 61 Verhaftungen
„Die Angriffe auf Wahlfahrzeuge und Wahlbüros, Drohungen in den sozialen Medien, Schikanen durch Ordnungskräfte und die rechtswidrigen Verbote von Wahlveranstaltungen durch Gouverneure gehen überall weiter", erklärte Özdoğan ergänzend. Im letzten Monat seien 295 HDP-Mitglieder und Unterstützer:innen festgenommen und 61 Personen verhaftet worden: „Die tatsächliche Anzahl dürfte noch höher sein. Die Regierung hat alle Institutionen des Staates, die Justiz, die Strafverfolgungsbehörden und die Gouverneure in den Wahlkampf einbezogen. Sie nutzt öffentliche Gebäude als Wahlbüros und verwendet die für Erdbebenopfer gesammelten Spendengelder als Wahlkampfbudget. Kurz vor ihrer Abwahl intensiviert sie die Repression und Verfolgung. Dafür gibt es natürlich einen Grund, nämlich die Umfrageergebnisse zu den Wahlen. Ihre Panik hat zugenommen."
Wahlsicherheit in Gefahr
Nuray Özdoğan ging außerdem auf den gefährlichen Diskurs der AKP im Wahlkampf ein: „Am 26. April sagte der stellvertretende AKP-Vorsitzende Binali Yıldırım: ,Diese Wahl ist ein Kampf für die Unabhängigkeit gegen die Invasoren'. Am 29. April bezeichnete Süleyman Soylu, der Vorgesetzte von Hunderttausenden von bewaffnetem Personal, Polizei, Gendarmerie und Sicherheitswächtern und noch immer Innenminister, die Parlamentswahlen vom 14. Mai als ,Putschversuch'. Um die Sicherheit der Wahlen zu gewährleisten, muss Süleyman Soylu als Innenminister entlassen werden. In seiner Rede in Ankara am 1. Mai sagte der AKP-Vorsitzende Erdoğan: ,Mein Volk wird dieses Land nicht einer Person überlassen, die mit der Unterstützung von Kandil Präsident wird.' Am 2. Mai sagte Erdoğans Chefberater Mehmet Uçum, der eine wichtige Rolle bei den Versuchen zur Abschaffung der Verfassung spielt: ,Ein Machtwechsel bei den Wahlen 2023 wäre ein Schlag gegen die volle Unabhängigkeit der Türkei.' Diese Aussagen werden in den Medien ständig wiederholt.“
Zudem gebe es „intensive Provokationsversuche in allen Wahlbezirken“, erklärte Özdoğan weiter und erinnerte an die Massaker nach den Wahlen vom 7. Juni 2015: „Wir wollen und werden nicht zulassen, dass die Regierung den Wahlkampf in einen Schauplatz der Gewalt verwandelt. Dieses Land hat die Gewalt und die Massaker nach den Wahlen vom 7. Juni nicht vergessen. Die Regierung erinnert uns aktuell daran, zu was sie imstande ist. Sie hat Diskriminierung und Rassismus zum Lebenselixier ihrer Macht gemacht und feindet alle demokratischen Werte dieses Landes an.“