Gedenktag für die Opfer der „Anfal-Operation“

Unter dem Namen „Anfal-Operation“ hat die irakische Armee zwischen 1986 und 1989 bis zu 182.000 Kurden und Angehörige christlicher Minderheiten getötet. Das Schicksal der meisten Opfer ist bis heute ungeklärt. Der 14. April ist Gedenktag dieses Genozids.

Die „Anfal-Operation” gehört zu den größten Menschheitsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter dieser Bezeichnung hat das irakische Baath-Regime zwischen 1986 und 1989 in acht Phasen genozidäre Maßnahmen an der kurdischen Bevölkerung und den aramäischen, assyrischen und chaldäischen Minderheiten in den ländlichen Regionen des Nordiraks durchgeführt. Anfal bedeutet „Beute“ und bezieht sich auf die achte Sure des Koran, welche eine strategische Kriegshandlung gegen Ungläubige beschreibt. 1988 erreichte die Operation ihren Höhepunkt. Innerhalb von nur sechs Monaten wurden unter dem Vorwand der „Aufstandsbekämpfung” etwa 182.000 Menschen getötet, mehrere Millionen verletzt, vertrieben und in Konzentrationslagern dem qualvollen Tod durch Hunger und mangelnde Pflege überlassen. Etliche Mädchen und Frauen wurden in andere Länder verschleppt, über 4.000 Dörfer, 1.800 Schulen, 300 Krankenhäuser, 3.000 Moscheen und 27 Kirchen dem Erdboden gleichgemacht. In mindestens 42 Fällen ist der Einsatz von Giftgas dokumentiert. Das Massaker von Helebce (Halabdscha) am 16. März 1988 ist der bekannteste dieser Giftgasangriffe.

Von langer Hand geplant

Die Anfal-Operationen waren von langer Hand geplant und wurden vom Regime öffentlich als „Bestrafungsaktion” für die Kollaboration des kurdischen Widerstands mit dem damaligen Kriegsgegner Iran legitimiert. Tatsächlich zielten die staatlichen Gewaltmaßnahmen in ihrer Gesamtheit aber darauf ab, die Menschen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu Minderheiten zu verfolgen und zu vernichten – unabhängig von ihrem Standpunkt zum arabisch-sunnitischen Baath-Regime.

Straßenblockade in der Ortschaft Dêbne nach Grabbesuch heute in der Germiyan-Region. Die Beteiligten wollten auf diese Weise verhindern, dass Offizielle aus Hewlêr (Erbil) und Bagdad sowie Repräsentanten politischer Parteien an dem Gedenken teilnehmen.


Bomben, Dorfverbrennungen, Hinrichtungen, Vergewaltigungen

Organisiert und umgesetzt wurden die Anfal-Operationen von Ali Hasan al-Madschid, einem Cousin Saddam Husseins, der unter dem Namen „Chemie-Ali” bekannt wurde. Dieser ließ vor Beginn der Massaker die in den kurdischen Gebieten ausgerufenen „Sperrgebiete“ zunächst erweitern. Die „Operationen” verliefen dann in der Regel stets nach dem gleichen Muster: Zuerst bombardierte die irakische Luftwaffe Dörfer und Siedlungsgebiete, bevor dort Bodentruppen einmarschierten. Diese setzten Anbauflächen und Gärten in Brand, trieben die Menschen zusammen, liquidierten Verletzte sowie Männer im wehrfähigen Alter zwischen 15 bis 60 Jahren und vergewaltigten Frauen.

„Unsere Kinder wurden in Nugra Salman von schwarzen Hunden gefressen“

Frauen mit Kindern und ältere Männer wurden in Lager und Gefängnisse verschleppt und über Monate gequält, gefoltert und häufig getötet. In den berüchtigten Gefängnissen Dibs und Nugra Salman etwa starben täglich Dutzende, vor allem alte Menschen und Kinder an Hunger und Erschöpfung. Die Körper von Kindern, die in den Armen ihrer Mütter starben und von irakischen Soldaten außerhalb der Gefängnismauern im Sand verscharrt worden waren, wurden nachts von wilden Hunden zerrissen. Bis heute fassen viele Überlebende mit dem Satz „unsere Kinder wurden in Nugra Salman von schwarzen Hunden gefressen“ die während der Anfal-Operationen erlittenen Grausamkeiten zusammen.

Tara Hisên (l.), Ko-Vorsitzende der Tevgera Azadî, beteiligt sich an einem Sitzstreik der „Anfal-Frauen“. Zur Teilnahme an dem Genozid-Gedenken am Mahnmal für die Opfer von „Anfal“ in Çemçemal wurden aus dem politischen Spektrum nur die Azadî-Bewegung, der Volksrat von Germiyan und das Solidaritätskomitee für die Angehörigen von PKK-Gefallenen vorgelassen.


Umsiedlungslager erst nach Befreiung Südkurdistans geräumt

Nach einer „Amnestie“ im September 1988 wurden die Überlebenden in Umsiedlungslagern unter irakischer Militärkontrolle kaserniert. Sie durften diese Camps bis zur Befreiung Südkurdistans 1991 von der Baath-Diktatur nicht verlassen. Allein im ehemaligen Umsiedlungslager Sumud bei Kelar in der Germiyan-Region lebten nach Anfal knapp 70.000 Menschen. Heute ist Sumud eine Stadt, die in Rizgarî (Befreiung) umbenannt wurde.

Schicksal der meisten Opfer bis heute ungeklärt

Nach der de facto Autonomie Südkurdistan begann der Wiederaufbau der während der Anfal-Operationen zerstörten Dörfer. Viele Menschen kehrten daraufhin zurück und nahmen die landwirtschaftliche Produktion wieder auf. Zahlreiche Überlebende aber, vor allem die große Gruppe alleinstehender „Anfal-Frauen” mit Kindern, deren Ehemänner, Söhne oder Brüder, häufig sogar die gesamte Verwandtschaft während der Massaker getötet oder verschleppt wurden, blieben in den Umsiedlungslagern und verharrten viele Jahre in Ungewissheit über das Schicksal ihrer verschwundenen Angehörigen und in prekären ökonomischen und sozialen Lebenssituationen. Ihr Leid wurde verstärkt durch fehlenden Zugang zu Bildung, einen unklaren rechtlichen und sozialen Status und ein patriarchales und traditionelles Umfeld. Als arbeitende Frauen ohne männliche Begleitung wurden sie Stigmatisierung ausgesetzt.

Forderung: Konsequente Aufarbeitung der Vergangenheit

Mit dem Sturz des Baath-Regimes 2003 hat sich die Situation der Anfal-Überlebenden und vor allem der Frauen zwar stark verändert. Denn heute sind sie es, die zusammen mit der Generation von Überlebenden ihre familiären und gesellschaftlichen Strukturen rekonstruieren. Seit 2004 ist der 14. April in Südkurdistan ein gesetzlich verankerter Tag des Gedenkens an die Opfer der genozidalen Anfal-Operation. Doch noch immer müssen die Frauen kämpfen: Kämpfen, damit das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen aufgeklärt wird, die vielen Massengräber geöffnet werden – nur etwa 3.000 Opfer des Anfal-Genozids haben ein offizielles Grab – alle Täter und Mittäter bestraft werden und Unterstützung bei der Entwicklung neuer Lebensperspektiven geleistet wird. Gefordert wird eine konsequente Aufarbeitung der Vergangenheit, Entschädigungen für alle „Anfal-Frauen“ sowie die soziale und politische Anerkennung ihrer Erfahrungen – auch in der öffentlichen Debatte.