Öcalan: Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist nötig

Nach der Auflösungserklärung der PKK hat Abdullah Öcalan über die Imrali-Delegation eine Botschaft übermittelt. Darin ruft er zur Erneuerung des gesellschaftlichen Miteinanders auf – mit einem „neuen Vertrag der Geschwisterlichkeit“.

Botschaft nach Besuch durch Imrali-Delegation

Nach dem historischen Kongress der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat der auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierte Begründer Abdullah Öcalan eine öffentliche Botschaft übermittelt. Die Mitteilung erfolgte über eine Delegation der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), bestehend aus der Abgeordneten Pervin Buldan und dem Rechtsanwalt Faik Özgür Erol. Beide haben Öcalan am Sonntag besucht.

„Was wir tun, stellt einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar“

Nach dem Treffen veröffentlichte die DEM-Partei die Erklärung Öcalans. Darin rief der 76-Jährige zu einer Neuausrichtung des gesellschaftlichen Miteinanders in der Türkei auf – insbesondere im Verhältnis zwischen Kurd:innen und Türk:innen: „Ein neuer Gesellschaftsvertrag auf Basis der Geschwisterlichkeit ist nötig. Was wir tun, stellt einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar.“

„Wir reparieren zerstörte Wege und Brücken“

Öcalan betonte die Notwendigkeit, die beschädigte Beziehung zwischen den beiden Völkern wiederherzustellen: „Die türkisch-kurdische Beziehung ist einzigartig – was zerstört wurde, ist das Band der Geschwisterlichkeit. Geschwister mögen streiten, aber sie existieren nicht ohne einander. Wir räumen die Fallen und Minen aus dem Weg, die diese Beziehung beschädigt haben. Wir reparieren zerstörte Wege und Brücken.“

Persönliche Worte und Dank

In seiner Mitteilung äußerte Öcalan auch Bedauern über ein nicht zustande gekommenes Gespräch mit dem kürzlich an den Folgen eines Herzinfarkts in Istanbul verstorbenen DEM-Politiker Sırrı Süreyya Önder, der Teil der Imrali-Delegation war. „Es ist eine Lücke in mir geblieben, nicht ein letztes Mal mit ihm gesprochen zu haben. Er war ein weiser Mensch für die Türkei – wir werden seine Abwesenheit nicht spürbar werden lassen.“

Grüße an internationale Intellektuelle

Dank und Anerkennung richtete Öcalan auch an internationale Intellektuelle, darunter den französischen Philosophen Alain Badiou und den slowenischen Sozialtheoretiker Slavoj Žižek, die ihm über die DEM-Partei Nachrichten und Solidaritätsbekundungen zukommen ließen. Öcalan sprach sich für eine intensivere Zusammenarbeit in einem gemeinsamen sozialistischen und internationalistischen Rahmen aus.

Kurdische Bewegung geht neuen Weg

Die Erklärung Abdullah Öcalans folgt auf den Beschluss der PKK, sich auf ihrem 12. Kongress Anfang vergangener Woche aufzulösen und die politische Auseinandersetzung um die kurdische Frage fortan ausschließlich mit friedlichen, demokratischen Mitteln zu führen. Damit folgte die PKK dem Aufruf ihres Gründers zu Frieden und einer demokratischen Gesellschaft, den dieser Ende Februar aus seiner Isolationshaft heraus über die Imrali-Delegation der DEM-Partei übermitteln ließ. Öcalan befindet sich seit 1999 auf Imrali in politischer Geiselhaft und hatte in der Vergangenheit mehrfach zentrale Impulse für politische Dialoge zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat gesetzt.