Der Völkermord von Helebce (Halabdscha) jährt sich heute zum 33. Mal. Es war gegen 11 Uhr am 16. März 1988, als sich eine Staffel Kampfjets der irakischen Luftwaffe von Süden her in Richtung der kleinen Stadt in Südkurdistan näherte und Granaten, die bei ihrer Explosion Giftgase wie Sarin, Senfgas und Tabun freisetzten, auf die Zivilbevölkerung abwarf. Innerhalb kürzester Zeit wurden 5.000 Menschenleben ausgelöscht.
Die Attacke erfolgte im Rahmen der „Anfal-Operation“ des Baath-Regimes, das in Bagdad regierte. Unter diesem Namen hat das irakische Militär in der Spätphase des Ersten Golfkrieges (1980-1988) eine ganze Reihe von Massakern an der kurdischen Bevölkerung und Angehörigen christlicher Minderheiten verübt. Im Verlauf dieser genozidalen Maßnahmen wurden bis zu 182.000 Menschen ermordet. So war Helebce auch nicht der erste Ort, an dem es in diesem Krieg zum Gaseinsatz kam. Bereits am 28. Juni 1987 warf die irakische Luftwaffe vier Senfgasbomben auf Serdeşt in Ostkurdistan (Iran) ab. Die Attacke blieb ohne Konsequenzen. Deshalb bombardierte Saddam Hussein nur wenige Monate später Helebce. Erst infolge dieses Angriffs wurde die Bombardierung von Serdeşt der Weltöffentlichkeit bekannt.
Ungewöhnlich viele Fälle von bösartigem Krebs
Wie in Serdeşt waren auch in Helebce die große Mehrheit der Opfer Frauen und Kinder, die qualvoll erstickten. Etwa 10.000 Menschen wurden durch den Giftgaseinsatz verletzt. Die Auswirkungen reichen bis in die Gegenwart: Zahlreiche Überlebende leiden heute noch an den Spätfolgen. Es gibt ungewöhnlich viele Fälle von bösartigem Krebs oder Hautkrankheiten, Atemproblemen durch Lungenfehlbildungen, Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und anderen angeborenen Missbildungen. Die Zahl der von diesen Erkrankungen betroffenen Menschen ist im Vergleich zu Regionen, die von den Giftgasangriffen Saddam Husseins verschont blieben, deutlich höher.
Der türkische Fotograf Ramazan Öztürk war der erste Journalist, der Helebce erreichte. Auf dem Bild ist er in einem Feld voller Leichen zu sehen (c) Ramazan Öztürk Archiv
Genozid nur mithilfe deutscher Technologie möglich
Die Bilder der Opfer des Angriffs auf Helebce sind fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der kurdischen Bevölkerung. Dieser Angriff war auch deshalb möglich, weil die Giftgasfabrik, aus der die tödlichen Bomben kamen, in den 80er Jahren mithilfe deutscher Technologie erbaut und von deutschen Firmen beliefert wurde. Zahlreiche deutsche Firmen wie auch andere europäische Konzerne waren somit an der Herstellung des Gases beteiligt. Laut der UN-Untersuchungskommission UNSCOM stammen sogar 70 Prozent der Giftgasanlagen Iraks von bundesdeutschen Firmen. Die Bundesregierung war bereits seit 1984 durch westliche Geheimdienste über die Rolle deutscher Firmen beim Bau der irakischen Giftgaslabore informiert. Dennoch liefen die Exporte weiter.
Geringe Strafen, keine Entschädigungen
Die Verantwortlichen wurden hierfür nur zum Teil und nur mit geringen Strafen juristisch zur Rechenschaft gezogen. Nach 1990 wurde insgesamt gegen 22 Angestellte von zehn deutschen Firmen ermittelt – am Ende standen nur drei kurze Bewährungsstrafen. Entschädigungen zahlte niemand. Das Haager Tribunal verurteilte im Dezember 2005 den Niederländer Frans van Anraat zu 15 Jahren Haft, weil er tausende Tonnen Chemikalien zur Herstellung von Giftgas in den Irak geliefert hatte.
„Wir kamen 24 Stunden nach dem Angriff in die Stadt. Es war geradezu lautlos. Keine Vögel, keine Tiere. Nichts Lebendiges war zu sehen. Die Straßen waren mit Leichen bedeckt. Ich sah Säuglinge, die in den Armen ihrer toten Mutter lagen. Ich sah Kinder, die im Todeskampf ihren Vater umarmt hatten. Während des Fotografierens habe ich die ganze Zeit geweint und zu Gott gebetet, dass es ein Traum sei und ich gleich aufwache. Ich erinnerte mich an Berichte aus dem jüdischen Holocaust, wie die Opfer in den deutschen Gaskammern übereinander nach oben geklettert wären, um voller Verzweiflung dem Gas zu entkommen. In Halabdscha sah ich viele, die in Gruppen gestorben waren und so wirkten, als hätten sie gemeinsam versucht das Gift nicht einzuatmen.“ Ramazan Öztürk (c) RÖ-Archiv
Bis heute hat keine deutsche Bundesregierung eine deutsche Mitverantwortung beim Völkermord von Helebce eingestanden. Im März 2013 äußerte der Bundestag lediglich sein tiefes Bedauern darüber, dass die Verbrechen in Helebce mit Giftgas verübt wurden, dessen Herstellung „mit illegalen Lieferungen deutscher Firmen“ ermöglicht wurde. Weitere Schritte einer Anerkennung der Rolle deutscher Todeshändler, eine Entschuldigung an die Opfer oder Entschädigungen für die an den Spätfolgen des Angriffs leidende Bevölkerung und damit zumindest späte Gerechtigkeit, blieben aus. Dabei wäre dies längst überfällig. Neben Staaten wie Norwegen und Großbritannien stufte auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag diesen Giftgasangriff als Genozid ein.
Dieser Zusammenhang von Greueltaten des Krieges und den Exportgeschäften westlicher Länder ist durch die Ereignisse in Syrien aktueller denn je. Die kurdische Gesellschaft fordert seit Jahren von der Bundesregierung und dem Bundestag, sich dem Giftgasangriff auf Helebce und den Folgen für die Stadt und die Bevölkerung anzunehmen und sich angesichts der deutschen Verwicklung in dieses Verbrechen für effektive Hilfeleistungen an die Überlebenden und die Angehörigen der Giftgasopfer einzusetzen.