In Silêmanî ist eine Festnahmewelle gegen die LGBTIQ-Community eingeleitet worden. Mindestens acht Personen sollen am Donnerstagabend bereits bei einer Operation in der südkurdischen Stadt festgenommen worden sein, meldete unter anderem das Mediennetzwerk Esta. Unter den Betroffenen befinden sich möglicherweise auch Minderjährige. Die irakische Organisation „IraQueer“ ist empört über die Diskriminierungsaktion des Sicherheitsapparats und verurteilt das „willkürliche und illegale Vorgehen“ der Polizei von Silêmanî. Diese begründe die Festnahmewelle damit, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Menschen mit anderer sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität „eine Bedrohung für die Sicherheit“ darstellen würden.
LGBTIQ-Menschen werden in noch verletzlichere Position gebracht
„Die Massenfestnahmen verstoßen ganz offen gegen die Rechte von LGBTIQ-Menschen oder jene, die als solche wahrgenommen werden”, kritisiert IraQueer und bezeichnet die homophobe und diskriminierende Begründung für die Operation als „Irreführung der Öffentlichkeit”. Nicht Mitglieder der Community stellten eine Sicherheitsbedrohung dar, sondern „Unterdrückung, illegale Festnahmen und die Verbreitung von Fehlinformationen”, unterstreicht IraQueer-Gründer Amir Ashour. Der Aktivist glaubt, dass diese Polizeikampagne LGBTIQ-Menschen in Silêmanî und darüber hinaus in eine „noch verletzlichere Position“ bringen wird.
Analuntersuchungen bei den Festgenommenen?
Aus Sicherheitskreisen hätte es zudem geheißen, man wolle Analuntersuchungen bei den Festgenommen durchführen – um festzustellen, ob sie schwul seien oder nicht. Solche Untersuchungen verletzen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf ein Leben ohne Folter und Misshandlung. „Wir fordern die kurdische Regionalregierung, die irakische Regierung und die internationale Gemeinschaft auf, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um diese Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und diejenigen, die diese Kampagne anführen, für diesen Gesetzesbruch zur Rechenschaft zu ziehen”, fordert Ashour.
Klage gegen einzige LGBTIQ-Organisation in Südkurdistan
In Südkurdistan wird schon länger vor zunehmendem Druck auf sexuelle Minderheiten im Land gewarnt. Es werde eine Strategie der Entmenschlichung von LGBTIQ betrieben. Treiber dieser Hetzjagd scheint der homphobe Parlamentsabgeordnete Omar Gulpi von der islamistischen Gruppe Komal zu sein, in dessen politischem Programm aktuell nur das Schüren von Hass steht. Im Februar hatte der Politiker wegen „Unmoral” eine Klage gegen die Organisation Rasan eingereicht, die sich als einzige NGO in Südkurdistan öffentlich für die Rechte von LGBTIQ-Menschen einsetzt. Gulpi bezeichnet Homosexualität als eine „Verletzung des öffentlichen Anstandes“ und will mit seiner Klage die Schließung des Rasan-Büros in Silêmanî und den Entzug der Vereinslizenz erwirken. Zudem predigt der Islamist seit Monaten öffentlichkeitswirksame Hassreden und ruft damit zu homophoben Gewalttaten auf. Laut Rasan ist es bereits zu zahlreichen Übergriffen auf LGBTIQ-Menschen gekommen. Ob Rasan ebenfalls von der Festnahmewelle betroffen ist, ist unklar. Die NGO wurde 2004 ursprünglich als feministische Frauenorganisation gegründet, erweiterte im Jahr 2012 jedoch ihr Aktionsfeld unter anderem auf den Kampf für Gendergerechtigkeit. Seit gestern ist das Büro allerdings nicht zu erreichen.
Homosexualität nicht verboten, aber...
Weder in dem seit 2003 gültigen irakischen Strafgesetzbuch noch in den Gesetzen Südkurdistans stellen bei gegenseitigem Einvernehmen durchgeführte sexuelle Handlungen erwachsener Personen einen Straftatbestand dar, auch nicht bei homosexuellen Menschen. Die vage formulierten Vorschriften lassen Staatsanwaltschaft, Polizei- und Sicherheitskräften jedoch Raum für diskriminierende Strafverfolgungsmaßnahmen, die regelmäßig zu einer Verurteilung von Homosexuellen führen. In den meisten Regionen des Landes wird Homosexualität auch innerhalb der Gesellschaft weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur betrachtet. LGBTIQ leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. Das Risiko von sozialer Ächtung bis hin zu Verfolgung, Folter und Mord ist ausgesprochen hoch.
Morde an LGBTIQ
Im Jahr 2018 ergab die erste jemals im Irak durchgeführte Studie von IraQueer über das Leben und die Erfahrungen von LGBTIQ-Menschen, dass 96 Prozent von ihnen irgendeine Form verbaler oder körperlicher Gewalt erlebt haben. IraQueer schätzte damals, dass 2017 mindestens 220 Community-Mitglieder getötet wurden. Nach der US-Invasion 2003 kam es im Irak jedes Jahr zu Mord- und Folterserien durch irakische Milizen, die sich gegen angeblich homosexuelle Männer richteten, denen mangelnde „Männlichkeit“ vorgeworfen wurde. Im vergangenen Jahr wurden allein zwischen Mai und Juli mindestens neun LGBTIQ-Personen getötet, mehr als 45 erhielten Morddrohungen. Am 17. Mai 2020 hisste die EU-Vertretung in Bagdad die Regenbogenfahne anlässlich des internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit. Als Reaktion darauf übte die irakische Regierung Druck auf die Delegation aus, die Fahne wegen der Zunahme von LGBTIQ-phober Hetze in den sozialen Medien zu entfernen. Die Fahne wurde nicht entfernt, aber die Morde an LGBTIQ-Menschen erlangten durch diesen Vorfall größere Aufmerksamkeit.