Exil im Exil für Ezid*innen

Nach dem IS-Angriff auf Şengal wurden viele Ezid*innen im Fidanlık-Camp in Amed untergebracht und von der Stadtverwaltung betreut. Als Amed unter Zwangsverwaltung gestellt wurde, wurden die Geflüchteten erst nach Midyad und dann nach Dîlok zwangsverlegt.

Als der sogenannte Islamische Staat im August 2014 das Hauptsiedlungsgebiet der Ezid*innen in Şengal überfiel und einen Genozid an der Bevölkerung verübte, konnte etwa 30.000 Ezid*innen durch einen freigekämpften Fluchtkorridor das Leben gerettet werden. Das Schicksal von Tausenden ist weiterhin ungeklärt. Nach den Massakern in Şengal siedelte die von der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) verwaltete Kommune von Bajarê Nû (Yenişehir) die ezidischen Schutzsuchenden im selbstverwalteten Fidanlık-Camp an. Nachdem die Stadtverwaltung durch ein Notstandsdekret durch einen türkischen Zwangsverwalter ersetzt und der Rojava-Verein geschlossen wurde, versuchten sich die Menschen im Camp mit Hilfe der örtlichen Bevölkerung selbst zu versorgen. Nach Einsetzung des Zwangsverwalters wurde das Camp, in dem 1.200 Ezid*innen lebten, geräumt. Trotz Einspruchs der Bewohner*innen wurde die Mehrheit von ihnen unter Zwang im AFAD-Camp in Midyad untergebracht. Nun soll nach dem Opferfest damit begonnen werden, die Ezid*innen ins AFAD-Camp in Dîlok (Antep) zu verlegen.

Lager sind wie Gefängnisse

Die Ezid*innen, die nun erneut verlegt werden sollen berichten, dass das Lagerleben für sie wie ein Gefängnisaufenthalt ist. Casım E. erzählt von seiner Flucht, auf der er, seine Partnerin und seine Kinder zwanzig Tage lang Hunger und Durst leiden mussten. Wie sie aufbrachen und dann über Zaxo in die Türkei einreisten: „Als wir im Fidanlık-Camp in Amed ankamen, hatten wir endlich die Lebensgefahr überwunden gefühlt. Wir waren in großer Sorge, da unsere Kinder noch sehr klein waren und sehr stark von unserer Situation beeinflusst wurden. Im Camp merkten wir dann, dass wir diese Sorge relativ schnell überwunden werden. Wir fühlten uns nicht nur sicher, sondern sahen auch, dass man sich sehr ernsthaft um die Bildung und die gesundheitlichen Probleme unserer Kinder kümmerte.“

„Wir sind unseres Lebens nicht mehr sicher“

Über die Verlegung ins AFAD-Camp sagt Casım E.: „Man brachte uns aus dem Fidanlık-Camp hierher nach Midyad. Dieser Ort hat nichts mit unserem ersten Aufenthaltsort gemein. Aber während wir langsam hier angekommen und unsere Sorgen etwas kleiner geworden sind, werden wir nun an einen anderen Ort verlegt. Das ist nichts anderes als ein neues Exil.“

Casım E. ist sehr besorgt um die Sicherheit im Lager in Dîlok. Er fährt fort: „Denn wir haben gehört, dass dort Flüchtlinge aus Syrien untergebracht sind, unter denen sich auch Extremisten befinden. Hier haben uns die Verantwortlichen ebenfalls eine Zeit lang mit ihnen gemeinsam untergebracht. Nachdem unsere Klagen die Presse erreicht hatten, wurden wir in getrennte Wohnbereiche verlegt. Wir wissen, dass wir nun in eine viel ernstere Situation gebracht werden. Der Winter steht bevor und wir wissen immer noch nicht, wie man uns unterbringen wird.  Als ob das Gefangenenleben hier im Lager nicht ausreichte, werden wir erneut ins Exil geschickt. Hätte ich das Geld, würde ich ein Haus in der Stadt mieten, damit wir dort unser Leben fortsetzen können.“

„Wir werden niemals in ein anderes Lager gehen“

Der ezidische Flüchtling Birhan A. berichtet: „Pausenlos müssen wir hier die Exilsituation erleben. Das hier ist jetzt der wievielte Ort? Wir leben in diesen Lagern eh schon das Leben von Gefangenen. Als ob das reichte, verlegt man uns ständig. Das nennt man Exil, nicht wahr?

Ob wir an dem Ort, an dem wir untergebracht werden sollen in Sicherheit sein werden, wissen wir nicht. Alle hier haben zwei oder drei Kinder, für die wir die Verlegung unter gar keinen Umständen akzeptieren werden. Wenn nötig, werden wir von unseren kurdischen Geschwistern in Midyad und den anderen Städten Unterstützung annehmen und ein Haus anmieten. Auf keinen Fall aber werden wir in ein anderes Lager gehen. Die Haltung des Staates ist einfach unmenschlich. Dagegen werden wir um jeden Preis Widerstand leisten.“