Erdbebenopfer in Wan werden ihrem Schicksal überlassen

Eine Abordnung der HDP und CHP hält sich im Erdbebengebiet in der Provinz Wan auf, um Unterstützung für die Bevölkerung zu organisieren. Die Oppositionsparteien kritisieren, dass noch immer keine Container von der Regierung bereitgestellt wurden.

Eine Abordnung der Oppositionsparteien HDP (Demokratische Partei der Völker) und CHP (Republikanische Volkspartei) hält sich derzeit im Erdbebengebiet in der nordkurdischen Provinz Wan (Van) auf, um Unterstützung für die Bevölkerung zu organisieren. Die Oppositionsparteien kritisieren, dass die Erdbebenopfer ihrem Schicksal überlassen werden und Container für die Unterbringung der Menschen, die ihre Häuser verloren haben, von der Regierung noch immer nicht bereitgestellt wurden.

Vor einer Woche hat ein Beben der Stärke 5,9 das Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Iran erschüttert. Die größte Zerstörung entstand auf türkischem Staatsgebiet im Wohnviertel Elbis (Özpinar, Kreis Elbak/Başkale) in Wan. Zehn Menschen, darunter ein Vater mit vier Kindern, kamen ums Leben. Ein Wohnviertel wurde fast vollständig zerstört. Nach HDP-Angaben sind 630 Wohnhäuser eingestürzt, Hunderte weitere sind nicht mehr bewohnbar. Dennoch müssen die Menschen bei Minusgraden in Zelten ausharren.

„Die Opfer des jüngsten Erdbebens sind wegen Armut gestorben. Bei den meisten Gebäuden im betroffenen Gebiet handelte es sich um Lehm- und Ziegelhäuser. Viele sind eingestürzt, die verbliebenen sind stark gefährdet. Den Menschen muss mit Sofortmaßnahmen geholfen werden, statt sie ihrem Schicksal zu überlassen. Die ganze Region ist stark erdbebengefährdet. Beim nächsten Beben könnte es die Überlebenden treffen”, sagte der CHP-Provinzverbandsvorsitzende Mehmet Kurukcu.

Der Oppositionspolitiker erklärte, dass Wan im Winter unter furchtbaren Kälteeinbrüchen leidet. Um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, werden dringend lebensrettende Container benötigt. „Diese Menschen werden den Winter in dieser Regiom kaum in Zelten überleben”, so Kurukcu, der die Öffentlichkeit zu Solidarität aufruft.

Regierung sabotiert Hilfe von kurdischen Kommunen

Am Dienstag wurde ein Hilfskonvoi der HDP auf dem Weg in das Erdbebengebiet in Elbak von türkischen Sicherheitskräften gestoppt. In dem Konvoi befanden sich mehrere Transporter mit Hilfsgütern, die von kurdischen Kommunalverwaltungen für die Erdbebenopfer an der iranischen Grenze bereitgestellt worden waren. Begleitet wurde die Hilfslieferung, die aus Decken, haltbaren Lebensmitteln, Windeln und ähnlichen Bedarfsgütern bestand, von einer Gruppe von HDP-Politiker*innen.

Die HDP-Gruppe wurde von den Sicherheitskräften aufgefordert, die gesammelten Hilfsgüter an die Katastrophenschutzbehörde AFAD zu übergeben. Das lehnte die Gruppe ab, der Konvoi wurde zurück nach Wan geschickt. Der HDP-Abgeordnete Murat Sarısaç kommentierte: „Die Kurden werden wie Feinde behandelt. Uns wird aus der betroffenen Region berichtet, dass die Menschen immer noch nicht genügend Zelte haben.“

Anschließend fuhr die HDP-Delegation weiter ins Erdbebengebiet und besuchte vier Wohnviertel in Elbak. Nach Gesprächen mit den aufgebrachten Bewohnern erklärte der HDK-Vorsitzende Sedat Şenoğlu, dass es keine rechtliche Grundlage für den Stopp der Hilfslieferung gibt: „Wir sind jetzt hier und sehen, dass keine Arbeit stattgefunden hat, so wie es in den Medien behauptet worden ist. In einigen Dörfern ist überhaupt noch niemand gewesen. Wir sehen hier nur Soldaten.“

HDP befürchtet Epidemien

Öznur Bartın, Ko-Vorsitzende der HDP in Wan, kritisierte ebenfalls, dass die Regierung die Hilfsbedürftigen nur unzureichend versorgt und unzählige Menschen nur notdürftig in Zelten untergebracht werden. „Die gelieferten Zelte reichen ohnehin nicht aus. Außerdem wurde noch immer keine Abhilfe für die Tiere geschaffen, die notgedrungen ungeschützt der Kälte überlassen werden. Die Menschen haben geduldig auf Hilfe von der Regierung gewartet. Mittlerweile lässt sich ihre Hoffnungslosigkeit in ihren Augen ablesen.”

Bei dem Erdbeben stürzten auch hunderte Tierställe ein. Viele tote Tiere können nicht geborgen werden. Bartın warnt vor dem Ausbruch von Krankheiten: „Wir fürchten, dass es zu Epidemien kommen könnte”, sagte die Politikerin.

Rassismus hält Hilfsgüter zurück

Bartın machte zudem deutlich, dass der alltägliche Rassismus und Nationalismus in der Türkei dazu führt, dass Hilfsgüter zurückgehalten werden. „Aus Naturkatastrophen politisches Kapital zu schlagen, ist ein Hinweis darauf, wie schwach und gefährlich die zwischenmenschlichen Emotionen sind. Es ist eine Schande für die Menschheit, Naturkatastrophen anhand der Identität, Sprache, Religion oder politischen Sichtweise der betroffenen Menschen zu bewerten. Die HDP differenziert nicht zwischen nationaler Zugehörigkeit oder Religion und setzt sich als basisdemokratische Partei für alle Hilfsbedürftigen und Unterdrückten ein. Hilfslieferungen zu stoppen sind ein erbärmlicher Versuch, einen Keil zwischen uns und die Bevölkerung zu treiben. Die Regierung vergisst dabei nur, dass die Menschen hier ganz genau wissen, dass solche Methoden für die Kriminalisierung der HDP angewendet werden. Es ist ein würdevolles, politisches Volk. Sie lassen sich nichts vormachen.“