Demokratieplattform Êlih: „Staat verschleiert Vergewaltigung“

Der mutmaßliche Vergewaltiger einer 17-Jährigen aus Êlih wurde nach einer kurzzeitigen Festnahme wieder freigelassen. Der Mann ist Offizier der türkischen Armee, die örtliche Demokratieplattform spricht von „Verschleierung der Tat durch oberste Stellen“.

In der nordkurdischen Provinz Êlih (türk. Batman) kommt es seit gestern zu Protesten gegen die Freilassung des mutmaßlichen Vergewaltigers eines 17 Jahre alten Mädchens, einem Stabsunteroffizier der türkischen Armee. Die Demokratieplattform Êlih spricht von einer Verschleierung der Tat durch „oberste Stellen“, da die Vergewaltigung des Mädchens, die sich bereits am 24. Juni ereignete, bei einer Untersuchung in der Gerichtsmedizin festgestellt wurde. Dennoch wurde zunächst nicht gegen Musa O., so heißt der bekennende Anhänger der rechtsextremistischen Organisation „Graue Wölfe“, ermittelt, obwohl das Mädchen und seine Eltern Anzeige bei der Militärpolizei und Staatsanwaltschaft erstatteten. Erst, nachdem das Opfer vor zwei Tagen versuchte, sich mit einem Jagdgewehr selbst zu erschießen, wurden Ermittlungen aufgenommen. Allerdings nicht in Êlih, sondern in der benachbarten Provinz Sêrt (Siirt), da sich die Tat dort zugetragen haben soll, nachdem die Minderjährige aus ihrem Dorf im Landkreis Qubîn (Beşiri) verschleppt wurde. Keine 24 Stunden nach der Festnahme wurde Musa O. wieder freigelassen, weil keine Fluchtgefahr bestünde, so die Begründung des Richters.

„Es spielt überhaupt keine Rolle, wo sich eine Tat wie diese abspielt. Ob in den kurdischen Regionen oder im Westen; wir als Bevölkerung von Êlih können angesichts dessen, was dem Opfer angetan wurde, nicht schweigen. Es geht schließlich um das Leben einer jungen Frau“, sagte Deniz Topkan, Ko-Vorsitzender der Zweigstelle der Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen (SES), die eine Komponente der Demokratieplattform ist, am Samstag bei einer Presseerklärung.

Deniz Topkan

Neben Êlih sind auch andere kurdische Regionen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder durch türkische Staatsbedienstete betroffen. Vergangenen Dienstag versuchte ebenfalls ein türkischer Stabsunteroffizier in Şirnex (Şırnak) eine Dreizehnjährige zu missbrauchen. Die Tat konnte verhindert werden, da Nachbarn des Kindes durch Hilferufe aufmerksam wurden. Der Mann wurde gestört und flüchtete in sein Fahrzeug. Dort wurde er wenig später von Anwohnern gestellt und überwältigt. Inzwischen sitzt er in Untersuchungshaft.

„Die Praxis der Straflosigkeit für Verbrechen von Staatsbediensteten in den kurdischen Gebieten des Landes begangenen werden, ist eine Methode, die schon immer Anwendung fand“, sagte Melek Atalay von der Provinzkoordination der Ingenieurs- und Architektenkammer (TMMOB). „Wir können im Prinzip von einer Kultur der Straflosigkeit sprechen, die vom Staat verfestigt wurde. Gerade deshalb hat unser Kampf, die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu gewährleisten, äußerste Priorität“, ergänzte sie.

Melek Atalay

Schon lange laufen Frauenorganisationen landesweit Sturm, weil die türkische Regierung über einen Austritt aus dem Übereinkommen nachdenkt. Der Vertrag aus dem Jahr 2014 soll Gewalt gegen Frauen, insbesondere häusliche Gewalt, eindämmen und die Gleichstellung von Frauen und Männern stärken. Die Türkei unterzeichnete die Konvention als erstes Land und ließ sie als „Gesetz zur Vorbeugung von Gewalt gegen Frauen und zum Schutz der Familie” rechtlich verankern. Ein Großteil der AKP und andere islamistische Strukturen ist gegen die Konvention, da sie die klassischen Familienstrukturen und den familiären Zusammenhalt zerstöre und Männer dadurch in eine Ecke gedrängt würden. Atalay fordert, dass der Kampf um den Erhalt des Vertrages und seiner Umsetzung gestärkt wird.