Colemêrg: „Nach dem Motto: Passiert und vorbei“

In Colemêrg im Dreistaateneck Türkei-Iran-Irak ist die Bevölkerung der Willkür der Sicherheitskräfte ausgesetzt. Zuletzt ist der 25-jährige Rüstem Çakmak in der Nähe seines Dorfes von iranischen Soldaten erschossen worden.

Die Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) liegt auf türkischem Staatsgebiet an der Grenze zum Iran und Irak und ihre Bewohner:innen unterhalten seit jeher enge Beziehungen zu den Menschen in Ost- und Südkurdistan. Es bestehen menschliche, historische, kulturelle und Handelsbeziehungen. Da es trotz einer Einwohnerzahl von über 280.000 Menschen in der Region fast gar keine Produktion gibt, werden Armut und Arbeitslosigkeit immer größer. Viele Menschen sind gezwungen, mit der Hoffnung auf eine Arbeitsstelle in die türkischen Metropolen auszuwandern oder Grenzhandel zu betreiben. Der Grenzhandel bedeutet, den Tod ins Auge zu fassen. Zuletzt ist am 15. August der 25-jährige Rüstem Çakmak aus dem Dorf Şikeftan (Mağaraönü) im Kreis Şemzînan (Şemdinli) von iranischen Militärs erschossen worden.

Immer ein Lächeln im Gesicht“

Sein Verwandter und Freund Muhyettin Mavi sagt über ihn: „Er war positiv und verbreitete gute Laune. Auch in schwierigsten Situationen hatte er ein Lächeln im Gesicht. Wir waren seit unserer Kindheit ständig zusammen, Arm in Arm. Seine Familie kann es nicht fassen, dass er ermordet worden ist. Wie soll man akzeptieren können, dass er auf dem Boden seines eigenen Landes von iranischen Soldaten erschossen wird. Ob sich staatliche Organe überhaupt um den Fall gekümmert haben, ist unklar. Er wird nicht ernst genommen, nach dem Motto ,passiert und vorbei'.“

Die Familie hat bis heute keine detaillierte Erklärung bekommen, erählt Mavi: „Es wurde nur gesagt: Unser Beileid, wir kümmern uns darum.“

Niemand durfte zu ihm, es wurde geschossen“

Vom Tag des Vorfall berichtet Mavi: „Er ist aus geringer Distanz von iranischen Soldaten in der Nähe des Wasserdepots des Dorfes erschossen worden, als er morgens auf die Hochalm gegangen ist, um ein Opfertier für ein Picknick zu holen. Als sich ihm zwei Hirten genähert haben, wurde auch auf sie geschossen. Die Hirten benachrichtigten die Menschen im Dorf und auch diese wurden von den Soldaten aufgehalten. Rüstem lag verwundet auf türkischem Staatsgebiet und es wurde anderthalb Stunden niemand zu ihm gelassen. Auf die Dorfbewohner wurde geschossen. Er hat in dieser Zeit viel Blut verloren. Erst als die Soldaten sich sicher waren, dass er tot ist, haben sie die Menschen durchgelassen. Rüstem konnte nicht mehr gerettet werden, er hatte sein Leben verloren.“

Rüstem war nicht der erste Tote

Dieser Vorfall war nicht der erste Mord im Grenzgebiet in Colemêrg.

Am 1. August 2019 wurde der 14-jährige Vedat Ekinci in Şemzînan von Soldaten angeschossen.

Am 29. Oktober 2020 wurde der 61-jährige Şerali Dereli im Dorf Awyan im Kreis Gever (Yüksekova) fünfzig Meter vor seinem Haus durch Schüsse in den Rücken getötet.

Am 30. November 2020 wurde im Kreis Rûbarok (Derecik) auf drei Ausflügler geschossen, die Eicheln sammeln und ein Picknick machen wollten. Der 16-jährige Özcan Erbaş erlitt schwere Schussverletzungen und verstarb im Krankenhaus.

Am 2. Dezember 2020 wurden Remzi Duman und Metin Öztunç bei einem Streit im dichten Verkehr auf der Bulvar Caddesi in Colemêrg von einem Polizisten angeschossen.

Am 30. Dezember 2020 wurde Reşit Ekinci bei einem Picknick im Kreis Rûbarok von Soldaten angeschossen.

Am 1. April 2021 wurde der zwölfjährige Nihat Şerzan Akdoğan in Gever von einem Panzerwagen der Polizei angefahren und schwer verletzt.

Am 22. Mai 2021 wurde dem 18-jährigen Hirten Mehmet Dinç in Rûbarok von Soldaten ins Bein geschossen.

Am 18. Mai 2021 wurden Şahap Şendol (23) und Celil Ekinci (17) an der Grenze in Rûbarok von Soldaten durch Schüsse verletzt.